Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die drei Frauen von Westport

Titel: Die drei Frauen von Westport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathleen Schine
Vom Netzwerk:
ihr Anwalt.
    Für den Bruchteil einer Sekunde begegnete Josephs Blick dem ihren, und als Joseph wegschaute, wusste Betty, dass sie beide ebenso belustigt wie unglücklich gedacht hatten: Unsere Anwälte lügen wie gedruckt.

7
    Der monatelange Kampf um ihre Agentur hatte Miranda zermürbt. Sie hatte endlos herumtelefoniert, Leuten geschmeichelt, sie bekniet, sie unter Druck gesetzt. Sie hatte jeden Gefallen eingeklagt. Doch die MirandaWeissmann Literary Agency roch nun nach Misserfolg, und dieser Geruch schlugVerlage ebenso in die Flucht wie Autoren.Was Miranda auch sagte oder tat – sie schien nicht verhindern zu können, dass ihr Lebenswerk ihr unter den Fingern zerbröselte.
    Ihr Auftritt bei Oprah war dann die endgültige Demütigung gewesen. Miranda war geschlagen. Und erschöpft. Deshalb war es vielleicht unvermeidlich, was mit ihr geschah, vor allem, weil sie mit ihrer Mutter und ihrer Schwester unter einem Dach lebte, die Mahlzeiten verspeiste, die ihre Mutter kochte, und sich das dauernde Genörgel ihrer Schwester anhören musste. Oder gehörte es zum Programm, wenn der fünfzigste Geburtstag bevorstand? Vielleicht handelte es sich um angestaute Energie – Miranda konnte schlecht stillsitzen, selbst wenn sie dann sinnlos im Kreis lief.Was der Grund auch sein mochte: Miranda merkte jedenfalls, dass sie unversehens in eine Art zweite Pubertät geriet. Da ihre erste Pubertät – ein stürmisches Drama, das sie sehr genossen hatte – von dem Entschluss geprägt gewesen war, ihre Seele zu erforschen –, nahm Miranda sich in dieserVariation ihrer ersten Jugend vor, ihre Seele einer weiteren Erforschung zu unterziehen. Vielleicht erbrachte das ja diesmal wirklich brauchbare Ergebnisse.
    Miranda befand, dass sie ihre Seele am besten in der Morgendämmerung am Strand erkunden könne. Ungünstigerweise war der Compo Beach sehr kurz, nur knapp einen Kilometer lang, weshalb sie immer dann, wenn sie gerade das Gefühl hatte, der Sache näher zu kommen, umkehren musste. Auch der Himmel lenkte sie ab, dessen Farbe sich um diese Uhrzeit von dunklem Lila zu milchigem Violett verwandelte und dann von leuchtend rosafarbenen Strahlen erhellt wurde. Außerdem war der Himmel jedenTag ein wenig anders, was Miranda noch mehr ablenkte. An manchenTagen fand auf dem Parkplatz am Ende des Strands eineVersammlung grüner Papageien statt, eine derartig lärmende und aufgeregteVeranstaltung, dass jedes Ergründen oder überhaupt Orten der Seele schlechterdings unmöglich war. Und wenn sie am Spielplatz vorbeikam, den kühlen Sand an den nackten Füßen und die salzige Luft in der Lunge spürte und sich ihrer flüchtigen Seele gerade ein wenig angenähert hatte – da hielt der große Cadillac Escalade ihres Cousins neben ihr, und Cousin Lou winkte mit seiner rosa Hand zum Fenster raus und schrie hallo und ob er sie irgendwohin mitnehmen könne.
    »Nein«, antwortete Miranda dann. »Das ist nett, aber ich mache einen Spaziergang.« Was man ja wohl schwerlich übersehen kann. Was ich bereits gestern früh kundgetan habe, als du angehalten und mir dieselbe Frage gestellt hast .
    »Spaziergang!«, rief Cousin Lou überschwänglich aus. »Sehr gesund!« Und dann tuckerte er mit seinem großen schwarzen Auto davon in die Morgendämmerung.
    Miranda versuchte, Cousin Lou nach Möglichkeit aus demWeg zu gehen. Sie hatte nichts gegen ihn. Es war unmöglich, etwas gegen Cousin Lou zu haben. Es war sein Lebenszweck, von allen gemocht zu werden. Aber er hatte nicht das geringste Gespür für Innenschau, und Miranda war so mit ihrer Innenschau beschäftigt, dass sie in ihrer üblichen selbstbezogenen Art annahm, alle anderen Menschen müssten sich entweder auch der Betrachtung ihrer eigenen Seele widmen oder doch wenigstens ersatzweise Mirandas Seele erforschen wollen. Cousin Lou allerdings war an ihrer Seele ebenso wenig interessiert wie an seiner eigenen. Er hatte das Miranda mit folgendenWorten dargelegt: »Wenn Mrs. H. gewollt hätte, dass Immigrantenkinder ihre Seele erforschen, hätte sie in jedem Fall die notwendigen Gelder dafür blockiert.«
    Nachdem Miranda eineWoche lang erlebt hatte, wie ihre Seelenforschungsspaziergänge immer wieder abrupt unterbrochen wurden, hatte sie eine neue Idee. Ein städtischer Strand war nicht einsam genug, hier lauerten zu viele Ablenkungen. Sie musste aufs Meer hinausfahren, um wirklich Zwiesprache mit ihrer Seele halten zu können. Als ihr dieser Gedanke kam, sah sie ein gelbes Kajak vor dem

Weitere Kostenlose Bücher