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Die drei Frauen von Westport

Titel: Die drei Frauen von Westport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathleen Schine
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Mom!« –Tunfisch-Sandwiches zubereiten zu müssen.
    Miranda hatte einen Anruf von ihrer ehemaligen Assistentin bekommen.Weil sie ein gutes Herz hatte und Mirandas Stimme sie außerdem nach wie vor in Angst und Schrecken versetzte, kümmerte sich diese junge Frau weiterhin um Mirandas Krankenversicherung, obwohl sie inzwischen für eine andere Agentur arbeitete. Und als sie sich wegen einer ungeklärten Zahnarztrechnung bei Miranda meldete, nutzte diese die Gelegenheit und bat die Exassistentin, sich nach einem Stellplatz für ihr neues Kajak umzuschauen.
    »Es muss ja Stellplätze geben für diese Dinger.«
    Die Exassistentin – in den zwei Jahren bei mir hervorragend ausgebildet, dachte Miranda befriedigt – hatte einen Platz gleich am Jachthafen gefunden. Der natürlich kostenpflichtig war, aber schließlich war nichts im Leben umsonst, nicht wahr?
    Das leuchtend rote neue Kajak und Mirandas orangefarbene Schwimmweste ergaben mit der eng anliegenden schwarzen Paddelkluft ein Ensemble, das – wie Betty bewundernd bemerkte – an einen tropischen Fisch erinnerte.
    Dieser Anwaltfreund von Cousin Lou saß am Ufer und angelte »vollkommen umweltfreundlich«, wie er versicherte, als er seinen fischlosen Korb vorzeigte. Miranda hatte ihn zunächst übersehen wollen, doch als er sie mit ihrem Kajak kämpfen sah, stellte er seine Angel weg und half ihr, das Boot insWasser zu schaffen.
    Miranda entfernte sich rasch vom Ufer, ein leuchtender Farbstrich auf dem schiefergrauenWasser des frühmorgendlichen Long Island Sound. Der Wind war kalt. Erfrischend, dachte sie, als sie am Compo Beach vorüberpaddelte und der Wind ihr ins Gesicht wehte. Wie klein und unbedeutend der Strand von hier aus wirkte, noch schmaler und kürzer, als wenn man dort spazieren ging. Miranda hatte sich bei Google ein paar Karten von der Küste angesehen.Vor ihr kam Sherwood Island in Sicht, das gar keine Insel, sondern ein State Park war, den Miranda noch nie besucht hatte. Aber sie war schon am Burying Hill Beach gewesen, dem winzigen Strandstück, das sie jetzt vor sich sah. Dort gab es Marschland, das einige architektonisch undefinierbare Häuser umgab, die in den letzten zwanzig Jahren aus dem Boden geschossen waren. Miranda lenkte ihr kleines Boot zu dem Meeresarm, über den man zu den schönen Marschen gelangte.
    Jetzt sind Ort und Zeit nicht schlecht, um meine Seele zu erforschen, dachte sie. Aber was werde ich entdecken? Eine in Mull gehüllte Altai-Mumie? Urplötzlich, alleine zwischen den gischtendenWellen, empfand Miranda den Gedanken an Innenschau bedrohlich. Als junges Mädchen hatte sie Leid und Schmerz vorgetäuscht, weil sie mehr seelische Tiefe haben wollte. Das hatte sie nun nicht mehr nötig, denn Leid und Schmerz waren real. Und die Tiefe? Sie war keine verlockende Dimension der geistigen Vielfalt des Erwachsenseins mehr. Sie tat sich lediglich als Loch, als Grube, als Ort unermesslicherVerluste vor ihr auf.
    Traurig dachte Miranda an ihre entehrten Autoren. So lange hatte sie ihnen so aufmerksam zugehört. Gut zuzuhören war ihre größte Stärke. Sie hatte zugehört und erstaunliche Dinge vernommen. Und dennoch hatte sie nur Lügengeschichten gehört.War das denn wirklich schlimm?, fragte sie sich.Wenn man Geschichten hörte, obwohl die Leute Lügen erzählten? Sie waren ihr alle so mutig erschienen. Sie hatten so viel leiden müssen. KeinWunder, dass sie das alles erfunden hatten.
    Ihre Arme taten weh. Komisch, wie sie so kraftvoll und mühelos losgepaddelt war, als sei Paddeln so selbstverständlich für sie wie Gehen. Dabei saß sie zum ersten Mal in ihrem Leben in einem Kajak. Als Kind, im Zeltlager, war sie einmal Kanu gefahren, was eine mühselige Angelegenheit gewesen war, bei der man das Boot häufig schleppen musste. Als sich jetzt der pochende Schmerz in ihren Schultern ausbreitete, erinnerte sie sich genau an damals. Ihre Hände an dem kleinen Paddel waren trotz der Kajakhandschuhe, die sie angeschafft hatte, starr und kalt. Bestimmt würde die Sonne sich bald zeigen und sie wärmen. Es war jetzt an der Zeit, dass der Himmel heller wurde, dann allmählich Farbe bekam, blassblau und schließlich strahlend hell wurde. Miranda blickte geradeaus. Sie war in Richtung Osten unterwegs, wo sich dieses Spiel von Farben und Licht nun eigentlich ereignen sollte. Doch es war nichts dergleichen zu sehen. Nur dunkleWolken. Vielleicht hätte sie dieWettervorhersage anschauen sollen, bevor sie aufbrach. Stattdessen hatte sie

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