Die drei Frauen von Westport
durchaus auch mehrere eines gutenTropfens zu genießen. An diesem Abend hielt er soeben das dritte Glas gegen das Licht und ließ die Flüssigkeit darin kreisen. DerWein hat Körper, dachte er wohlgefällig. Wie eine Frau.
Lou liebte die englische Sprache. Sie gehörte zu seiner amerikanischen Identität und war ihm ungeheuer wichtig. Jemand hatte ihm gesagt, wenn er eine Nachricht auf einem Anrufbeantworter hinterließe, höre man seinen deutschen Akzent. Das hatte Cousin Lou für vollkommen ausgeschlossen erklärt, doch seither rief er lieber ein zweites Mal an, wenn jemand nicht zuhause war.
»Wunderbar«, murmelte er nun, womit derWein und sein Körper gemeint waren sowie alle Arten von Körpern, das Zimmer, die Leute, die ihrenWein tranken, und wie immer die Aussicht aufs Meer, über dem langsam ein kugelrunder orangefarbener Herbstmond aufging.
Auch Annie, die auf einer kleinen Sitzbank saß, betrachtete den Mond und sann darüber nach, was Frederick wohl gerade machte.
»Warum redet der immer auf mich ein?«, fragte der empörte Mr. Shpuntov mit erhobener Stimme. »Was will der von mir?«
»Das ist deine Tochter «, schrie ihm Cousin Lou ins Ohr.
Miranda, die unruhig vor dem Panoramafenster auf und ab ging, hörte weder Mr. Shpuntov und Cousin Lou noch R osalyns entnervten Ausruf »Herrjemine!«. Kit war nicht mehr da. Henry war nicht mehr da. Ihre kleine Pseudofamilie war in diesem winzigen Auto davongefahren und in ein Flugzeug nach Los Angeles gestiegen. Miranda ballte die Fäuste und öffnete sie wieder, ohne es zu merken. Wir können immer noch so tun, als seien wir eine kleine Familie, sagte sie sich. Vielleicht kam Kit in ein, zwei Wochen wieder. Er hatte ja gesagt, es sei eine kleine R olle. Es könnte natürlich auch eine kleine R olle sein, die er immer wieder spielen musste, möglicherweise monatelang. Wer würde sich dann um Henry kümmern? Das war doch ungeheuerlich. Im Grunde eine Form von Kindesmisshandlung. Armer Henry, eingesperrt in einem Hotelzimmer mit einem Babysitter ohne R eferenzen, irgendeinem Mädchen, das in einer fremden Sprache in ihr Handy quasselte. Henry war in einer wichtigen Entwicklungsphase, und so würde er nicht richtig sprechen lernen. Erst am Vorabend hatte sie im Computer stundenlang Beiträge zur Sprachentwicklung von Zweijährigen gelesen. Sie musste Kit anrufen und ihm das alles erklären. Sie schaute auf ihre Uhr. Jetzt waren sie noch im Flugzeug. Hoffentlich hatte Kit Henrys Gurt aus dem Auto mitgenommen. Der war sicherer als die gewöhnlichen Gurte im Flugzeug.
Irgendetwas in Miranda gab ein Stöhnen von sich, und sie setzte sich und begann, auf ihrem Daumennagel herumzukauen.
Betty wünschte, Miranda würde nicht Nägel kauen. Das war sehr unattraktiv. Und dabei war ihreTochter doch so eine hübsche Frau.
»Der kleine Henry und seinVater waren sehr angetan von deiner Schwester«, sagte Betty zu Annie, die zusammengesunken auf einer Bank hockte. »Sind sehr von ihr angetan, sollte ich vielleicht lieber sagen. Ich wünschte, sie wären nicht so überstürzt verschwunden. Es ist ja schön, dass Kit Arbeit gefunden hat, aber Miranda ging es so gut mit den beiden. Sitz aufrecht, Schätzchen.«
»Hm«, machte Annie. Fredericks Kinder waren von ihr wohl eher nicht angetan, dachte sie bei sich. Obwohl sie Frederick sichtlich verehrten.Was natürlich auch der Grund sein mochte, weshalb sie so besitzergreifend waren. Oder hatte es vielleicht mit ihrer Mutter zu tun? Annie hatte nie gefragt, was eigentlich aus Mrs. Frederick Barrow geworden war, obwohl es sie natürlich interessierte.War sie unlängst gestorben? Oder war sie wie Betty verlassen und verarmt? Wie war sie, und wie sah sie aus?Traf sie ihren Exmann noch gelegentlich? Oder schmückte er ihr Grab mit Blumen, legte sich dann daneben und sprach mit derVerstorbenen? Da Annie wenig über Frederick und rein gar nichts über seine Frau wusste, fiel es ihr schwer, sich die beiden zusammen vorzustellen, aber sie hatte dennoch immer wieder ein verschwommenes Bild vor Augen.
Weshalb es ein echter Schock für sie war, als ihre Mutter plötzlich aufgeregt zur Tür lief, durch die soeben unübersehbar der leibhaftige Frederick Barrow trat, und zwar in Begleitung der streng blickenden jungen Frau, die Annie neulich als seineTochter Gwen vorgestellt worden war, sowie einem Mann, der wohl Gwens Gatte war, und zwei kleinen Mädchen in identischen Samtkleidern.
Es ist viel zu heiß für Samtkleider , war Annies erster,
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