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Die drei Frauen von Westport

Titel: Die drei Frauen von Westport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathleen Schine
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abstruser Gedanke, weil sie sich an viele Festtagsessen in ihrer Kindheit erinnerte, an denen sie furchtbar geschwitzt hatte. An R osch ha-Schana war es immer zu heiß für Samt.
    Mit Frederick, Gwen und ihrem Mann und den zwei rosigen kleinen Mädchen in kirschrotem Samt wehte die Nachtluft herein, der feuchte Atem der Küste, der den neuen Gästen durchs Zimmer folgte wie ein Gespenst.
    »Frisches Blut«, flüsterte R osalyn gierig und eilte den Neuankömmlingen entgegen. Sie war der Gäste ihres Mannes häufig überdrüssig. Wie Sammlern von Keramik, Schmetterlingen oder alten Handtaschen lag R osalyn das Erwerben als solches weitaus mehr am Herzen als eine umfangreiche Sammlung. Lou versorgte sie verlässlich mit einer ständig anwachsenden Liste von Namen und Berufen, die R osalyn in ihrer mentalen Hierarchie unterzubringen hatte, wofür sie ihrem Mann wider Willen dankbar war. Doch diese aktuelle Neuerwerbung war untypischerweise ihr eigenesWerk. Sie hatte Gwendolyn Barrow eigenständig aufgegabelt, und zwar bei einer ödenVeranstaltung mit unverständlicher Kunst und arroganten New Yorkern, bei der die beiden Frauen sich angeregt über dieVorzüge von Pilates gegenüber Gyrotonics unterhalten hatten, wobei R osalyn sich ausdrücklich für Gyrotonic aussprach und Gwen zugab, dass ihr diese Methode auch zunehmend zusage. Die beiden Frauen fanden Gefallen aneinander, und R osalyn lud ihre neue Freundin recht spontan zu Lous R osch-ha-Schana-Feier ein.
    »Gwen!«, sagte sie jetzt. »Willkommen inWestport! Und wer sind diese beiden eleganten jungen Damen, die Sie mitgebracht haben? Das sind doch wohl nicht Juliet und Ophelia?« R osalyn hatte Gwen nur dieses eine Mal getroffen und lobte sich im Stillen, weil sie sich die Namen der Zwillinge gemerkt hatte. IhrVater mochte sich hemmungslos seiner Senilität ergeben, dachte sie bei sich, aber sie hatte jedenfalls ihren Kopf noch beisammen. »Das ist doch nicht möglich, die beiden sind ja schon so groß …«, fuhr sie fort und neigte den Mädchen ihren gewaltigen Schädel entgegen.
    Juliet und Ophelia blickten zu ihr auf und sahen dabei aus, als würden sie ungleich lieber das Schicksal ihrer berühmten Namensvetterinnen erleiden, als hier in R osalyns Zimmer zu stehen, während R osalyns Gesicht über ihnen hing. Dann zitterten die Lippen der beiden unisono, bevor beide Mädchen gleichzeitig das Gesicht verzogen und lautstark zu heulen anfingen. IhrVater ging vor ihnen in die Hocke und redete ernsthaft, aber mit ehrerbietiger Miene auf sie ein, als seien die beiden Miniaturbotschafter eines fremden Miniaturlandes.
    Von derVeranda aus beobachtete Annie den Einzug der Familie, und ein Hauch der feuchten Meeresluft wehte zu ihr herüber. Ihr Herz schlug schneller, und die Aufregung ließ ihr Gesicht erglühen. Sie konzentrierte sich auf ihr Glas, betrachtete eingehend denWein, der so dunkel war wie einTeich. Sie wartete auf Fredericks Stimme, und als sie dann neben ihr zu hören war und nur ihren Namen sagte, klang sie weich und warm und würzig.
    »Deine Stimme ist wieWein, Frederick«, sagte sie, blickte auf und lächelte.
    »Nicht wie verruchter Gin?«, sagte er. Er nahm ihre Hand, und so standen sie einen Moment lang da, ein Schwindel erregender Moment für Annie, deren Herzschlag so laut in ihren Ohren hämmerte, dass sie nichts anderes mehr hören konnte. Doch Frederick musste etwas gehört haben, denn er warf einen raschen schuldbewussten Blick zu seinerTochter hinüber, und der Zauber war gebrochen.
    Er ließ Annies Hand ungeschickt sinken, sagte: »Was um alles in derWelt machst du hier?« und blickte dann um sich, als wisse er selbst nicht genau, wie er hierhergeraten war. »Das ist ja eine wunderbare Überraschung!«
    »Cousin Lou ist mein Cousin«, sagte Annie.
    »Cousin Lou ist jedermanns Cousin, oder nicht? Seine Frau hat Gwen viel über ihn erzählt. Offenbar haben die beiden sich schon nach einemTreffen richtig angefreundet. Gwen ist ein furchtbarer Snob, aber sie ist sehr angetan von R osalyn. Ist R osalyn vielleicht auch ein furchtbarer Snob? Das wäre eigentlich der einzige Grund, der mir diese Freundschaft erklärlich machen könnte.«
    Annie musste lachen. »Lou ist wirklich mein Cousin«, erwiderte sie. »Nicht direkt blutsverwandt, aber er gehört tatsächlich zu meiner Familie.«
    Frederick nickte bekräftigend und sagte: »Genau! So hat Gwennie es mir geschildert – jeder gehört zur Familie.«
    Annie gab es auf. »Jedenfalls wohne ich jetzt

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