Die drei Frauen von Westport
übers Haar, »ist Ophelia.«
Annie schüttelte Ophelia die klebrige Hand. »Hübsches Kleid«, sagte sie.
»Heiß«, murmelte Ophelia.
Betty beobachtete die kleine Gruppe interessiert. Sie freute sich, dass Frederick zu Annie gekommen war. Hatte sie ihn eingeladen? Es sah Annie gar nicht ähnlich, so viel Initiative zu zeigen und sich in die Karten schauen zu lassen. Sie musste wirklich einiges übrighaben für diesen Schriftsteller mit den lebhaften Augen und der samtigen Stimme.Wenn es meinen Töchtern gelingt, glücklich zu sein, werde ich es auch schaffen, dachte Betty und straffte die Schultern, obwohl sie dieselbe schwelendeWut und Konfusion empfand wie immer.
»Ich habe von der Sache mit Joseph gehört«, sagte ein Mann neben ihr.
Betty rief sich zur Ordnung, betrachtete mit Abscheu die wulstigen Lippen des Mannes und versuchte, sich in dem allgemeinen Stimmengewirr daran zu erinnern, wer er war.
»Marty«, sagte sie, als ihr schließlich einfiel, dass der Mann mit den leberfarbenen Lippen Cousin Lous Steuerberater war. »Hallo.«
»Tut mir leid für Sie«, sagte er.
Er verzehrte gerade ein Stück orangefarbenen Käse, und Betty bemerkte, dass der Käse eine glänzende Linie auf seinen Lippen hinterließ, die sie an eine Schneckenspur erinnerte.
»Sie brauchen einen guten Anwalt, Betty. Einen scharfen Hund. Ich gebe Ihnen einen Namen.«
»Sprechen Sie am besten mit Annie, Marty. Ich bin inTrauer.«
»Ja. Das ist wohl eine der Phasen, heißt es immer.«
»Ich glaube nicht an Phasen«, erwiderte Betty.
»Es ist keine R eligion, Mom«, sagte ihre jüngereTochter, die gerade zu ihr trat. Und da Marty etwas gekränkt blickte und Betty merkte, dass ihrTonfall zu schroff geraten war, zwang sie sich dazu, Marty mit seiner widerlichen schneckenschleimbehafteten Lippe anzulächeln.
»Danke«, sagte sie, drückte Marty kurz die Hand und ließ sie so rasch wieder los, als nehme sie gerade reihenweise Glückwünsche entgegen. »Danke für Ihre lieben Worte.«
»Scharfer Hund«, wiederholte Marty, als er sich entfernte.
»Großer Gott«, sagte Betty.
»Wer war das?«, fragte Miranda, hinter der nun R oberts in Erscheinung trat.
»Lous Steuerberater. Er meint, ich bräuchte einen ›scharfen Hund‹, wie er sich ausdrückte, als Anwalt.«
»Ein Forensic Accountant wäre vermutlich angebrachter«, bemerkte R oberts. »Tut mir leid«, fügte er hinzu, als Betty nicht antwortete. »Geht mich nichts an.« Er wanderte von dannen.
Ein Forensic Accountant. Als jüngst konvertiertes und treues Mitglied der Fernsehgemeinde hatte Betty zahlreiche Wiederholungen zahlreicher Anwaltsserien gesehen und fragte sich nun, ob ein Forensic Accountant so etwas wie das CSI-Team für Scheidungen war. Eine Scheidung war ja auch einTodesfall – oder vielmehr ein Mord. Die Erinnerungen waren es hier, die so unerbittlich glücklich, dabei aber leblos und nutzlos auf einem Haufen lagen und ebenso nachVerwesung stanken wie eine Leiche.Wenn die Erinnerungen nur wirklich eine Leiche wären, dachte Betty, dann könnte man sie tief in der Erde begraben. Aber die starben eben niemals, nicht wahr? Sondern geisterten durch ihre Gedanken und ihr Herz wie räudige Zombies. Auch ein Forensic Accountant würde niemals den Mörder finden können, wenn es keine Leiche gab. Da machte das Fernsehen mehr Spaß. »Ich mag den mit denWanzen am liebsten«, sagte sie.
»Was?«
»Den mit der Sonnenbrille mag ich gar nicht.«
»Wovon redest du, Mom?«
»Fernsehen.«
»Ich habe Kopfschmerzen«, sagte Miranda und starrte wütend auf Frederick Barrows Enkelinnen.
Betty legte den Handrücken an die Stirn ihrerTochter. »Hast du Fieber? Willst du nach Hause gehen? Hast du dieses Medikament? Diesen R oller für die Stirn? Vielleicht geht’s dir besser, wenn du dich hinlegst.«
Miranda wich der Hand ihrer Mutter aus.
»Wer ist denn diese junge Frau, die Frederick von Annie wegzieht?«, erkundigte sich Betty. »Ist das sein Liebchen?«
»Das ist seineTochter, Mom.«
»Gott sei Dank gibt es Töchter«, sagte Betty und drückte Mirandas Arm. »Ganz im Ernst.« Und sie wanderte zurVerandatür, schob sie auf und trat hinaus in die feuchte Nacht, um sich ungestört Grübeleien über Joseph und seine unüberbrückbaren Differenzen hinzugeben.
Als Betty durch dieVerandatür trat, sah Miranda, dass R oberts sich ihr erneut näherte. Sie kippte den R est ihres Scotchs hinunter und steuerte zur Bar, um sich Nachschub zu besorgen.Tatteriger alter Anwalt –
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