Die drei Frauen von Westport
Erleichterung. Zuhause, dachte er. Endlich zuhause. Und dann stieß er dort in der Küche auf eine hübsche junge Frau in knappen Shorts undTrägerhemdchen, deren schimmernde Haut nach dem Bad duftete, das sie gerade genommen hatte – Amber, die sich noch ein GlasWein eingoss oder sich einen Happen zu essen holte. Und sie begrüßte ihn herzlich. Goss ihm ein GlasWein ein. Und sie setzten sich auf dieVeranda und lauschten denWellen, die an den Strand schwappten. Die Sterne funkelten über ihnen, oderWolken zogen vor dem Mond vorbei. Frederick zitierte ein paar Zeilen Shakespeare, sie war fasziniert. Er freute sich so sehr, wieder zuhause zu sein. Und zu diesem Gefühl gehörte auch das hübsche Mädchen, das entspannt und natürlich war, sich auf die Armlehne desVerandastuhls setzte und seine Schultern mit ihren starken Heilerhänden massierte. Und dann spürte er an seinem Arm plötzlich einen nackten Schenkel, und die Entspannung wich aus seinem Kopf, um einem anderen Gefühl Platz zu machen, das ganz überraschend kam, aber nicht mehr zu verdrängen war. Und seine Hand bewegte sich zu dem verlockenden Bein und wanderte langsam höher. Und mit einem kleinen Stöhnen glitt die Haushüterin auf seinen Schoß …
Zu ihrem Entsetzen konnte Annie sich jeden Moment dieses erotischen Stelldicheins in New England lebhaft vorstellen.
Umblättern, befahl sie sich. Oder besser noch: das Buch zuschlagen.
Miranda hatte gewartet, bis ihre Schwester, diese allgegenwärtige bedrängende Fürsorge in Person, endlich verschwunden war, um einen Spaziergang zu machen. Dann hatte Miranda sich im Bett aufgesetzt und ihren Laptop aufgeklappt.
Da war er.
Er trug jetzt keine Hosen mehr, auf denenWale abgebildet waren. Sondern Jeans und eine Designer-Armeejacke wie alle anderen auch. Sogar den unverzichtbaren Hollywood-Hut, einen Hipster-Strohhut mit schmaler Krempe und Band. Und das rote Armband. Das war ihr amVorabend gar nicht aufgefallen. Dieses blöde rote Kabbalah-Armband. Neben ihm stand die Schauspielerin, Ingrid Chopin, eine zierliche, dunkelhaarige Frau mit üppigem Busen und betörendem Lächeln. Ihr Haar fiel auf ihre Schultern wie wildeWeinranken. Die Frau war unwiderstehlich, das entging auch Miranda nicht. Allerdings war sie mindestens vierzig, obwohl sie noch für fünfunddreißig durchging. Eine jüngere, aber dennoch nicht mehr junge Frau.
Was hat die, was ich nicht habe?, fragte sich Miranda. Lässt sich vermutlich gar nicht alles aufzählen.
Sie schob den Laptop weg und nahm wieder die Stellung ein, in der Annie sie zurückgelassen hatte: vorWut undWehmut eingerollt wie ein Fötus, die Arme, die sich sonderbar fremd anfühlten, um sich geschlungen, den Kopf voll rasender Gedanken. Du dämliche Kuh, du dummeTrine, du blöde, naive, alte Schachtel. Hast geglaubt, du könntest dir eine nette kleine Familie in einem netten Häuschen anschaffen, du und dein jugendlicher Held und dein unschuldiger kleiner Freund. Gar nichts hast du. Dein Leben ist eine Katastrophe. Eine Panne. Ein Nichts. Du wirst deine schwindenden Jahre nicht mit einem fürsorglichen Gatten und einem bezaubernden Jungen verbringen. Sondern alleine vor dich hin plappernd in einem Karton im Riverside Park. Nettes Häuschen? Dein Häuschen wird mitTaubenscheiße bedeckt sein. Dein Leben ist leer und sinnlos. Ein Schuhkarton. In dem ein paar tote Bienen liegen.
»Ist nur n’ Nobby«, stöhnte Miranda in ihr Kissen. »Ist nur ’n Nobby.«
Annie trat aus dem grellen Sonnenschein ins dunkle Haus und schlich ins Schlafzimmer, in der Hoffnung, alleine sein zu können. Doch dort, in der künstlich gekühlten Luft, lag ihre Schwester eingerollt auf dem Bett. Einen kurzen Moment lang erwog Annie, sich Miranda anzuvertrauen. Sich auf den Bettrand zu setzen und ihrer Schwester zu erzählen, wie sehr sie sich verraten und missachtet fühlte, wie enttäuscht und angewidert sie war. Sie würde sich aufs Bett sinken lassen und deprimiert an die Decke starren, und Miranda neben ihr würde das Gleiche tun, und sie würden reden und reden und reden, bis sie Frederick und Amber in lauter winzigeTeile zerlegt hatten, die so zerfleddert und unwichtig waren, dass sie einfach davonflogen.
Miranda schlug die Augen auf, sagte: »Großer Gott, Annie, verschwinde bloß« und schloss die Augen wieder.
Abgewiesen und weggestoßen, bevor sie ein einzigesWort geäußert hatte. Annie spürte die Hitze von draußen auf der Haut und die Kälte im Schlafzimmer, die nun in ihren
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