Die drei Frauen von Westport
ihren hohen, schlanken Stämmen und den ebenmäßigenWedeln kamen Annie wie Plattitüden vor, wie Abziehbilder, wie Kinderzeichnungen oder Neonschilder.
Frederick würde Amber heiraten.
In den letzten Monaten hatte Annie sich gezielt darum bemüht, ihre Beziehung zu Frederick so schonungslos wie möglich zu betrachten: Er fühlte sich zu ihr hingezogen und mochte sie; er war ein Mann, der lange alleine gelebt hatte, was ihm auch zu behagen schien; seine Kinder wollten keine Konkurrentin für ihre Nähe zumVater, ihre R echte, ihr Erbe; seine großäugige Schwester hatte das Leben ihrer Mutter zerstört. Annie hatte dieseVerbindung, deren Unwahrscheinlichkeit ihr durchaus bewusst war – AnnieWeissmann und Frederick Barrow –, ohne Scheuklappen betrachtet. Sie hatte mit sich selbst gesprochen und die Lage drastisch mitsamt allen unerfreulichen Details geschildert. Und sie hatte sich – was ihr nun bewusst wurde – verliebt.
Wo die Liebe hinfällt, dachte sie. Hier schien sie ihr wie ein Stolperstein vor die Füße gefallen zu sein. Und Annie war gestolpert, aber nicht gestürzt, oder? Sondern auf den Füßen gelandet wie eine Katze. Dieses Bild hatte Miranda einmal leicht abfällig benutzt, um zu erklären, warum Annie viel besser mit Kummer und Leid umgehen konnte als sie selbst. Annie seufzte und stellte sich die zierlichen, hübschen und trügerischen Pfötchen von Katzen vor. Sie fühlte sich ganz und gar nicht wie eine Katze. Ihre Füße fühlten sich nicht wie Katzenpfötchen an. Sondern wie schwere müde Plattfüße, die ständig misshandelten Füße einer erschöpften Kellnerin.
Tränen kamen und verdampften in der Hitze. Quollen erneut hervor und verschwanden wieder. Alles stirbt, dachte Annie. AuchTränen.
Schwanger. Sie wiederholte dasWort mehrmals, konnte es aber einfach nicht mit Amber und Frederick inVerbindung bringen.Was merkwürdig war, da dieVerbindung zwischen ihnen dreien durch diesesWort entstanden war. Amber, Frederick und das Proto-Baby. Doch sosehr Annie sich auch bemühte – wenn sie dasWort leise aussprach, stellte sich jedes Mal nur die Erinnerung an die Empfindungen ihrer eigenen Schwangerschaften ein: das erhitzte, schwitzige geschwollene Körpergefühl; das Gewicht ihres Bauches, der sie nach unten zog und sich zugleich mit Anspannung nach vorne ausdehnte; die endlose tiefe Müdigkeit; die Ängste, der Stolz, das Grauen, die Freude, die überschwängliche Freude. Während beider Schwangerschaften hatte sie auf der Couch gelegen und Krieg und Frieden gelesen, jeweils eine andere Übersetzung. Anna Karenina dagegen hatte sie überhaupt nie gelesen. Sonderbar. Oder auch nicht. Sie hatte nämlich Anna Karenina immer wieder angefangen und war jedes Mal von einer derartigen Sorge um Anna und ihrWohlergehen erfasst worden, dass sie das Buch verstört zugeschlagen hatte. Sie wollte nichts erfahren, was sie schon wusste.
Annie sehnte sich plötzlich nach ihren Söhnen. Sie sehnte sich nach ihnen als jungen Männern und als Babys. Die weichen welligen Haare, die im Lauf der Jahre fester geworden waren, die schmutzigen Patschhände, die inzwischen groß und sauber waren, die männlichen Augen, dieselben Augen, in die Annie geschaut hatte, als man ihr die kleinenWesen bläulich und verschorft auf den Bauch gelegt hatte.
Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sich Annie einsam, vollkommen einsam und verlassen. Selbst als ihr Mann sie mit den beiden kleinen Jungen sitzen ließ, hatte sie noch die Jungs gehabt. Die waren nun auch verschwunden. Sie liebten sie und riefen sie an und schrieben ihr E-Mails und kuschelten sogar noch mit ihr, wenn sie in der Stimmung dazu waren. Aber sie waren dennoch Männer, und obwohl sie für immer Mittelpunkt von Annies Leben sein würden, war sie nicht mehr Mittelpunkt ihres Lebens.
Sie stellte sich vor, wie Frederick in sein Haus zurückkehrte, ein Haus, das er liebte und nach dem er sich sehnte. Vielleicht an jenem Abend, an dem er sich in der Bibliothek verabschiedete und von seinen Kindern gedrängt wurde, bei ihnen in der Stadt zu bleiben. Stundenlang war er in der Nacht auf den Straßen mit den vorbeibrausenden Scheinwerfern und den endlos dunklen Horizonten unterwegs gewesen. Bestimmt hatte er Halt gemacht auf einen Kaffee und vielleicht auch einen Doughnut. Dann wieder ins Auto, mit etwas steifen Knien, angestrengt blinzelnd. Als er schließlich auf die Zufahrt einbog und sein kleines oder auch großes Haus sah – eineWelle der Freude und
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