Die drei Frauen von Westport
Oder nein, nicht sauer – eher kritisch. Oder kühl? So hab ich es, ehrlich gesagt, empfunden. Ich meine, vielleicht gab’s ja mal einen Flirt oder so zwischen euch beiden. Ich weiß natürlich, dass da nicht wirklich was war. Aber ich wollte das gerne klären, weil ich mich nicht gut gefühlt habe danach. Als sei ich dir irgendwie zu nahe getreten oder so.«
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Amber.«
Hatte sie das verstanden? O ja, ich glaube schon, dachte Annie. Genauso wie sie selbst verstanden hatte:Was auch zwischen euch gewesen sein mag – es kann jedenfalls nicht allzu viel gewesen sein, denn nun bin ich ja schließlich schwanger, und damit ist alles vorher Geschehene quasi null und nichtig.
»Gott!Totale Erleichterung!«
»Muss ganz schön anstrengend sein, mit so einem Geheimnis herumzulaufen.«
Amber stieß ein kleines zustimmendes Lachen aus.
»Vor allem, da es ja kein Geheimnis bleiben kann«, fuhr Annie mit einer gewissen genüsslichen Grausamkeit fort. »Tut mir leid, dass es so schlimm ist mit seiner Familie«, fügte sie dann zum Ausgleich hinzu. »Seine Kinder sind wirklich enorm besitzergreifend. Aber weißt du, Amber, selbst wenn sie’s nicht wären: Es ist immer schwierig, wenn man in eine bestehende Familie kommt.« Und erst recht gleich zu zweit, dachte sie. Arme Amber. Ihr standen schwierige Zeiten bevor. »Aber nun ja, du wirst schließlich nicht die erste Stiefmutter derWelt sein.«
»Stiefmutter?«, fragte Amber verwirrt. »Ach so, die .« Sie gab ein bitteres Lachen von sich. »Stimmt, er hängt ja sehr an ihnen.«
Das sagte sie in einemTonfall, als habe Frederick sich bei seinen Kindern eine unangenehme Krankheit eingefangen.
»Ich meine, ständig muss er nach New York fahren, um sie zu sehen. Gott, er hält es nicht mal länger als ein paarTage ohne sie aus. Ich denk ja imTraum nicht daran, so viel Zeit mit meinemVater zu verbringen. Würd ich auch echt nicht wollen. Das wär nix für mich. Wir fetzen uns immer übel.Wenn er erst das hier erfährt – das wird reinhauen. Aber scheiß drauf.«
»Scheiß drauf«, wiederholte Annie.
»Freddie hat Angst, dass Gwen ihm seine Enkelinnen vorenthalten wird, wenn er es ihr sagt. Als hätte er noch Zeit für Enkel, mit einem eigenen Baby.Wohl eher nicht. Aber das will er nicht hören. Na ja, er muss sich erst an die Situation gewöhnen, das kann ich schon verstehen, weiß der Himmel. In der Lage war er schließlich schon lange nicht mehr, nicht wahr? Das sagt jedenfalls meine Ausbilderin.«
»Du hast mit deiner Ausbilderin darüber gesprochen?«
»Na ja, nicht so direkt, aber die spürt alles Mögliche und merkt so was. Und ich musste ihr schließlich sagen, dass ich schwanger bin.« Als sie dasWort »schwanger« aussprach, senkte sie die Stimme, so wie manche Leute es tun, wenn sie »schwul«, »schwarz« oder »Krebs« sagen.
»Ich weiß schon, dass es eine Weile dauern wird, und wenn ich seine wahren Gefühle nicht kennen würde, wäre ich wahrscheinlich unsicher und gereizt. Aber da ich mir seiner so sicher bin, kann ich gut warten.« Sie hielt inne – um die R eaktion auf ihre Worte abzuschätzen, dachte Annie. Dann, als sie offenbar zufrieden war mit Annies neutraler Miene, fuhr sie fort: »Und wenn ich wirklich den Eindruck hätte, dass ihm eine Abtreibung lieber wäre, dann würde ich das auch machen.« Sie dehnte sich und schob dabei graziös das Kinn vor. »Ich würde alles tun, um ihn glücklich zu machen.«
»Aber das will er nicht?«
»O mein Gott, nein. Er hat mich gefragt, was ich will – ist das nicht total Mr. Frederick Barrow? Er wollte wissen, ob er mir einen Arzt empfehlen sollte, und er würde natürlich auch alles bezahlen, aber als ich gesagt habe, er müsste das Kind nicht mal als seines anerkennen, denn wir seien ja irgendwie alle Kinder des Universums, wenn du verstehst, was ich meine – und du verstehst das bestimmt –, wollte er das gar nicht. Er ist ein Ehrenmann. Und er will sich natürlich um mich kümmern, weil ich ja noch so jung bin und alles.«
Der arme Frederick hatte sich in einem Netz verstrickt, das er selbst aus männlicher Abenteuerlust und männlichem Ehrenkodex gesponnen hatte. Annie wurde klar, dass er nicht davonkommen würde. Sie versuchte, ihreWut vomVortag wiederzubeleben. Frederick war wahrhaftig alt genug, um nicht mehr so verantwortungslos zu sein, und nun stand ein komplett unschuldiges Leben auf dem Spiel. Hatte er sich das nicht überlegt, und hatte er
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