Die drei Frauen von Westport
Strickmützen dekoriert gewesen waren. »Und vergesst eines nicht, Mädels«, hatte Josie gesagt, wenn sie um den Baum hüpften und den Schmuck an die duftenden Zweige hängten, während dazu Die Nussknacker-Suite auf dem Plattenspieler lief. »Denkt daran: Bei diesem Fest wird die Geburt eines Mannes gefeiert, in dessen Namen eine ganze R eligion unserVolk seit Jahrtausenden verfolgt und zu vernichten versucht.« Er schaute sie beide mit strengem Blick an. »Das versteht ihr doch, oder?«
»Ja, Josie.«
»Gut! Und da ihr das nun wisst: Wieso sollen also nur die sich amüsieren, wie?« Und er grinste breit, woraufhin sich die beiden Schwestern wie Ballerinas mit ausgestreckten Armen im Kreis drehten, bis sie schwindlig und kichernd zu Boden sanken.
»Wo bleibt denn R oberts?«, fragte Betty jetzt. »Ich fühle mich wie ein Kind! Ich will los!« In Wirklichkeit stand ihr der Sinn eher danach, in ein Flugzeug zu steigen und nach Hause zu fliegen. Die Erinnerungen an so viele glücklicheWeihnachtstage waren in dieser sonderbaren leeren Gegend mit ihrem Sonnenschein und ihren Felsen kaum erträglich für sie. Aber sie wollte ihren TöchternWeihnachten nicht verderben. Deshalb klatschte sie in die Hände, lächelte die beiden an und dachte daran, wie sie als kleine Mädchen gewesen waren – was Annie und Miranda für sie auch immer bleiben würden.
Annie zwang sich, das Lächeln zu erwidern. Betty trug noch immer Schwarz – an diesemTag einen schwarzen Pullover, mit einem lavendelfarbenenTuch kombiniert –, aber Lavendel hatte man in der viktorianischen Zeit als gemäßigteTrauerfarbe getragen, kurz bevor man zu normaler Kleidung zurückkehrte. Konnte dies ein Hinweis darauf sein, dass Betty sich aus ihrer Zerstreuung und Depression lösen wollte? Vielleicht hatte diese R eise ja wenigstens einer von ihnen etwas gebracht.
Annie setzte sich in die Couchecke, brütete vor sich hin und vermied sorgfältig jeden Blickkontakt mit Miranda. Sie verabscheute die gnadenlose Sonne. Sie verabscheute die Berge. Cousin Lou hielt ihr eine Mimose hin. Sie schüttelte den Kopf, schloss die Augen und versuchte sich auf die Ankunft von Amber vorzubereiten, die sie treffen würde wie ein Faustschlag.
An dem Couchkissen bewegte sich etwas. Annie spürte, dass sich jemand zu ihr setzte, an sie lehnte, jemand, der ihr so vertraut war wie sie selbst.
»Ich vermisse Josie«, sagte Miranda, deren Kopf nun schwer auf Annies Schulter lag.
»›Wieso sollen nur die sich amüsieren‹«, sagte Annie leise.
Der schwere Kopf nickte. Der Kampf hatte ein Ende gefunden.
R oberts tauchte nie auf, sondern rief von unterwegs an. Er war auf demWeg zum Flughafen, weil er überraschend geschäftlich nach Connecticut fliegen musste, und entschuldigte sich, weil dasWeihnachtspicknick leider ausfallen musste.
In dem allgemeinenTohuwabohu nachVerkündigung dieser Nachricht verschüttete Mr. Shpuntov ein GlasWasser, wies mit krummem Zeigefinger auf R osalyn und sagte: »Soso, Herr Klempner. Sie haben sich ja vielleicht Zeit gelassen.« Er deutete auf den Fleck auf demTeppich. »Loch im Dach, sintflutartige R egenfälle.Was kommt wohl noch alles?«
»Unser jüdischesWeihnachtsfamilienpicknick fällt aus?«, fragte Cousin Lou bestürzt.
»Ein Klempner anWeihnachten?«, sagte R osalyn zu ihremVater. »Das wäre nun wirklich einWunder!«
»Na los, Meister«, erwiderte Mr. Shpuntov brüsk, »an die Arbeit, an die Arbeit.«
»Was macht das schon?«, sagte Miranda. »Ist doch nur ein Picknick.«
»Und das Leben ist kein Picknick«, bemerkte Betty mit dumpfer Stimme, als sage sie die Multiplikationstabelle auf. »Wieder mal.«
Das Essen fürs Picknick wurde nun stattdessen auf dem Tisch ausgebreitet, und man aß mit einem Pappteller auf dem Schoß. Annie setzte sich auf einen Stuhl, um weiteren intimen Gesprächen mit Amber zu entgehen, aber die junge Frau ließ sich kurzerhand vor ihr auf dem Boden nieder.
»Ich hoffe, ich habe dich nicht, na ja, beunruhigt«, sagte sie leise. »Mit meinem Geheimnis und so.«
»Beunruhigt?« Annie horchte auf den Klang ihrer Stimme und war froh, dass sie sich fest und neutral anhörte. »Wieso denn das? Ich bin ja schließlich nicht deine Mutter. Und auch nicht Fredericks Mutter.« Sie lachte etwas gekünstelt, aber Amber schien dieseVorstellung nicht als absurd zu empfinden, weshalb Annie das Lachen sofort wieder einstellte.
»Trotzdem, ich weiß nicht recht«, sagte Amber. »Du kamst mir irgendwie sauer vor.
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