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Die drei Frauen von Westport

Titel: Die drei Frauen von Westport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathleen Schine
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Körper kroch. Alles war zu viel. Alles war zu wenig.
    »Wieso liegst du eigentlich hier herum?«, fragte sie.
    Und stupste Miranda an.
    Jetzt kam schlussendlich dieWut, und sie war so heftig, dass Annie das Blut zu Kopf stieg. Die arme kleine Miranda, die arme ewig leidende Miranda. »Das ist erbärmlich! Steh auf!«
    Miranda fuhr hoch. Haare klebten ihr am Gesicht. »Was ist denn mit dir los?«
    »Was mit mir los ist?« Annie war so rasend wütend und bitterlich enttäuscht, dass ihr beinahe schwindlig wurde. »Das gab’s ja noch nie.«
    »Was zumTeufel soll das heißen?«
    »Es soll heißen, dass du eine Diva bist«, antwortete Annie. »Eine selbstsüchtige Diva. Ist dir schon mal aufgefallen, dass es anderen Menschen auch schlecht gehen kann?«
    Miranda blickte sie verdattert an. Dann stieg ihr die R öte ins Gesicht. »Da du schon darauf zu sprechen kommst: Ich mische mich wenigstens nicht ständig in das Leben anderer ein wie du. Du solltest dir endlich mal ein eigenes Scheiß-Leben zulegen.«
    Sie stritten jetzt, wie sie es als Kinder getan hatten – gemein und hasserfüllt und unterTränen. Und steigerten sich hinein.
    »Ich hab das alles satt, verstehst du?«, schluchzte Annie und wischte sich Tränen aus dem Gesicht. »Verflucht. Wie blöde.« Sie legte den Arm über die Augen. »Ich hab es satt. Mich um das Geld zu kümmern, während du dir Boote kaufst und Mama Chanel-Kostüme. Ständig die Erwachsene sein zu müssen –«
    »Halt! Und du nennst mich selbstsüchtig?«
    » Miranda ist ganz durcheinander, wir können dich jetzt nicht ins Ballett fahren, Annie … Du hast meine Kindheit ruiniert mit deinen dramatischen Szenen …«
    »Ballett? Du meinst, als du mit einem Unterhemd unter deinemTutu durch die Gegend gestapft bist? Einem langärmligen noch dazu …«
    »Ich war schüchtern . Und mir war kalt .«
    »Du hast meinenTroll gestohlen.«
    »Den hattest du doch Debby Dickstein gestohlen. Ich hab ihn ihr zurückgegeben. Ich wollte es nur richtig machen.« Annie merkte, wie ihre Stimme den verhassten jämmerlichen Klang weiblicher Heulanfälle bekam. »Und so ist es schon immer. Ich bemüh mich und bemüh mich …«
    »Ach ja? Dann lass mich doch einfach in R uhe, und kümmer dich um deine eigenen Angelegenheiten, anstatt hier die Märtyrerin zu spielen.«
    Annie warf ihrer Schwester einen giftigen Blick zu. »Angelegenheiten? Nicht dass du noch welche hättest, um die du dich kümmern könntest.«
    Miranda war schlagartig ganz still. Der einzige Laut im Zimmer war das Surren der Klimaanlage. Dann sagte Miranda: »Scher dich zumTeufel, Annie. Mit deinen ganzen Sorgen und deinen R echnungen und deinem piefigen kleinen Leben. Du kannst mir gestohlen bleiben.«
    Annie, die sich selbst wie aus weiter Ferne fassungslos beobachtete, griff nach einer Lampe, die einer Giraffe nachempfunden war, und warf sie auf ihre Schwester. Die Giraffe fiel aufs Bett und glotzte ins Leere.
    »Amber ist schwanger«, sagte Annie. »Frederick ist derVater.«
    Als Miranda die Augen aufriss, dachte Annie: So, da hast du’s .
    »Oh, Annie …«
    »Du kannst mir auch gestohlen bleiben.« Und damit stürmte Annie hinaus und warf lautstark die große Glastür hinter sich zu.
    Am nächstenTag warWeihnachten. Miranda hatte versucht mit Annie zu sprechen, weil sie ihr sagen wollte, dass sie R echt hatte, dass sie selbst, Miranda, wirklich ein melodramatisches Monster war, das jedes greifbare Gefühl ausschlachtete, dass sie selbstsüchtig war, Annie dagegen selbstlos und gütig und bedauernswert, und ob sie ihr bitte verzeihen könne? Doch Annie wollte nicht zuhören.
    Beide bemühten sich, die Entfremdung vor ihrer Mutter zu verbergen. Betty machte zum Glück einen noch abwesenderen Eindruck als gewöhnlich und bemerkte nichts. Sie wartete mit allen anderen imWohnzimmer auf R oberts. Er wollte sie alle, auch Amber und Crystal, zu einem geheimen Ort bringen, einer kühlen Höhle in einem Canyon, mit Aussicht auf Kakteen und Sträucher, von einemWeg aus leicht zu erreichen. Dort sollte es ein Picknick mit Kirschkuchen, Apfelkuchen, Kürbiskuchen geben. Und mitTruthahn und Gans. Schließlich warWeihnachten.
    »Und jeder gute Jude weiß, was man da braucht«, bemerkte R osalyn.
    Annie, die sich wegen ihres Ausbruchs amVortag schämte und deshalb noch wütender auf Miranda war, dachte an dieWeihnachtsbäume ihrer Kindheit zurück, die mit kleinen Holzweihnachtsmännern auf Skiern, bunten Glaskugeln, R entieren,Teddybären mit roten

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