Die drei Frauen von Westport
noch nie vonVerhütungsmitteln gehört, war er so außer Rand und Band gewesen? Doch Annie empfand nur noch Mitleid für ihn. Er hatte einen Fehler gemacht und würde den R est seines Lebens dafür büßen.
»Da sind Sie ja!«, schrie Mr. Shpuntov, als er R osalyn sah. »Halsabschneider! Ich hätte mal selbst Klempner sein sollen.«
»Das warst du auch«, erwiderte R osalyn trocken. »Fünfzig Jahre lang.«
Miranda sah zu, wie Cousin Lou Mr. Shpuntov ins Esszimmer führte. Sie hatte sich so weit weg von allen gesetzt wie möglich. Aß Gans und Ente und Apfelkuchen.Trank Eierpunsch und warf Annie dann und wann ein scheues Lächeln zu, was ihre Schwester ebenso erwiderte. Dann beteiligte sich Miranda am Anzünden der Kerzen des Chanukka-Leuchters. Armes Chanukka, dachte sie, wie jedes Jahr, als sei dieserTag einVogel mit gebrochenem Flügel, den sie auf dem Gehweg gefunden hatte. Es war der dritteTag der Feiertage. Die ersten beiden hatte sie völlig vergessen.
15
Fredericks graues Schindelhaus aus der spätviktorianischen Zeit befand sich seit fast hundert Jahren im Besitz seiner Familie. Seine Schwester Felicity und er waren in diesem Wirrwarr aus sonderbar geschnittenen Zimmern und Salons und spiralförmigenTreppen aufgewachsen. Als ihre Eltern überraschend starben (Arthur Barrow 1980, Mary im Jahr darauf), hinterließen sie ihren Kindern lediglich dieses Haus. Das war in sich stimmig: zwei kränkliche, schrullige, gebrechliche alte Menschen, die mit der neuen Zeit nicht mehr zurechtkamen, hinterließen ein Haus, das ebenso kränklich, schrullig, gebrechlich und altmodisch war, wie sie selbst es gewesen waren – einen hölzernen Schatten seiner selbst, ein schadhaftes Erinnerungsstück. An demTag, an dem ihre Mutter beerdigt wurde, nahmen Frederick und Felicity die Beileidsbezeugungen der erstaunlich zahlreich erschienenenTrauergäste im Haus entgegen. Felicity hatte amVorabend Sandwiches zubereitet, die klein, feierlich und inzwischen auch zu trocken waren. Sie trug dasTablett ins Esszimmer, stellte es auf den Mahagonitisch, der sie immer an einen überdimensionalen Sarg erinnert hatte, und kehrte in die Küche zurück. Sie suchte nach dem großen »Fest«-Perkolator, den ihre Mutter an Thanksgiving,Weihnachten und Ostern hervorgeholt hatte, drehte denWasserhahn auf und bugsierte die Kanne ins Spülbecken.
Die betagten R ohre gurgelten und schienen dann schlagartig zum Leben zu erwachen. Felicity hörte eine lauteToilettenspülung, die sich verblüfft und überfordert anhörte. Auf dem Dachboden hatten sich Eichhörnchen eingenistet, die sich durch die Wände nach unten vorarbeiteten und mit ihren kleinen scharfen Krallen sonderbare Kratzgeräusche erzeugten. Felicity hatte dieses Haus nie gemocht. Sie verabscheute den Nebel, die traurig klingenden Nebelhörner, die Laute des Meeres und den Geruch des Meeres – diesen abstoßenden Geruch nach verfaulenden Algen oder verwesendem Meeresgetier. Sie verabscheute die bornierte Beschränktheit der Sommergäste und die nicht minder bornierte Beschränktheit der Ortsansässigen. Erst als Felicity zum Studium nach New York geflohen war, hatte sie das Gefühl gehabt, wirklich frische Luft zu atmen. In Manhattan hatte sie zum ersten Mal überhaupt richtig atmen können, so schien es ihr.
Sie ließ die Kanne volllaufen und drehte denWasserhahn ab. Die R ohre gaben ein dumpfes Seufzen von sich. Dieses Haus seufzte permanent. Strukturell bedingtes Selbstmitleid.
Felicity hatte schon vor demTod ihrer Mutter versucht, ihren Bruder zumVerkauf des Hauses zu überreden. Aber leichtfertig und realitätsfern, wie er nun mal war, hatte er sich geweigert. »Ich liebe dieses Haus«, hatte er geantwortet, als ob das als Antwort ausreichte.
Felicity schleifte den großen Perkolator ins Esszimmer und drückte den Stecker in die Dose. Ein Funke sprang heraus.
Die Rache des Hauses, dachte Felicity. Es versucht mich abzumurksen, bevor ich es abmurkse.
Später jedoch wurde Felicity bewusst, dass dieser Funke genau das war, was sie gebraucht hatte. Der Funke für eine zündende Idee. Denn als sie da stand und auf das ausgefranste Kabel, die vergilbte Steckdose und den Holzboden blickte, der auch dann wie ein Schiff auf hoher See zu knarren pflegte, wenn ihn niemand betrat, kam ihr diese einfache und naheliegende Idee.
Sie nahm Frederick am Arm und führte ihn in die Küche.
»Du liebst dieses Haus«, sagte sie.
Frederick machte große Augen und setzte diese Miene eines
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