Die drei Hellwang-Kinder
Märchenaugen bestrickend an und schielte unter dem dichten Wimpernvorhang nach der schwarzen Lackledertasche ihrer künftigen Erzieherin, deren Bügelschloß sie mit sachkundigem Blick taxierte.
»Ein reizendes Kind«, bemerkte Fräulein Zögling in Omis Richtung, und mit einer kleinen Drehung zu Hellwang hin fügte sie hinzu: »Irgendwie aristokratisch...«
Er nahm die Äußerung, die wahrscheinlich als höchstes Kompliment gemeint war, das man vergeben konnte, entgegen, als würge er einen allzu großen Brocken altbackenes Brot hinunter und hüstelte sich einen Belag von der Kehle.
»Und das ist unsere Brigitta, kurz Britta genannt«, sagte die alte Dame und gab Britta, die mit einwärtsgedrehten Füßen keine allzu glückliche Figur machte, einen kleinen Ermunterungsklaps auf die Kehrseite.
»Du gehst, wie ich vernommen habe, bereits in die Oberschule«, wandte sich Fräulein Zögling an Britta, »da lernt ihr wohl Französisch, nicht wahr? Parlez vous français?«
»Nein, wir haben Englisch...«
»Nun, dann werden wir ja bald Gelegenheit haben, uns tüchtig im Englischen zu üben. How do you do?«
Britta sandte einen hilfesuchenden Blick in die Runde. Die Perspektiven, die sich ihr eröffneten, schienen sie mächtig zu bedrücken. Sie ließ die linke Schulter wie einen gebrochenen Flügel hängen. »Wir haben erst seit dem Herbst Englisch«, murmelte sie verzagt.
»Britta fing nämlich mit Französisch an«, erläuterte Hellwang, »dann wurde der Lehrplan geändert und Englisch als Erstsprache eingeführt.«
»Die gräflichen Kinder wurden von einem Hauslehrer unterrichtet«, bemerkte Fräulein Zögling. Sie hob dabei die schmalen Augenbrauen ein wenig, und es klang, als ob sie damit sagen wollte: Ein jeder kann sich das natürlich nicht leisten, seine Kinder von einem Hauslehrer unterrichten zu lassen...
»Kommen wir zur Sache«, meinte die alte Dame schließlich resolut, als befürchte sie, Fräulein Zögling könne noch im letzten Augenblick Bedenken bekommen und abspringen. Die pekuniäre Seite der Angelegenheit hatte sie im Einvernehmen mit Konrad Hellwang bereits vor dem Erscheinen der Kinder erledigt. »Wann können Sie Ihren Posten hier im Hause übernehmen, Fräulein Zögling?«
»Jederzeit, gnädige Frau — ich stelle es in Ihr Ermessen, den Tag zu bestimmen.« Und so wurde vereinbart, daß Fräulein Zögling die Stellung am 15. März antreten sollte. Es war eine gute Woche bis dahin, aber man mußte den Einzug der neuen Hausgenossin ja auch vorbereiten.
»Da haben wir wirklich einen Griff in den Glückstopf getan«, frohlockte die alte Dame, als Fräulein Zögling über den Kiesweg zur Gartenpforte ging. Sie beobachtete die Davongehende hinter der Gardine und spitzte die Lippen, als würfe sie ihr ein Küßchen nach. »Nun kann ich beruhigt abfahren, denn bei Fräulein Zögling werden Haus und Kinder in guter Hut stehen.« Sie wandte sich um, als Hellwang beharrlich schwieg: »Oder hast du etwas an ihr auszusetzen?« Ihr Ton veranlaßte ihn, eiligst zu versichern, daß auch er mit der Wahl von Fräulein Zögling durchaus einverstanden sei und unterließ jede Bemerkung darüber, daß er bei der Wahl sehr wenig zu bestimmen gehabt hatte.
»Das einzige wäre vielleicht«, wandte er schließlich ein, »daß sie so furchtbar fein ist und womöglich in Ohnmacht fallen wird, wenn die Kinder erst etwas mehr auftauen.«
»Es wird auch allerhöchste Zeit, daß die Kinder aus der Küche herauskommen und sich benehmen lernen!« sagte die alte Dame nicht ohne Schärfe. »Kathi ist gewiß eine tüchtige Person, dagegen kann man nichts sagen, aber was ihren Umgangston mit den Kindern betrifft, nun, so ist er nach meinem Geschmack denn doch ein wenig zu — bayerisch! Vor einer knappen Stunde hörte ich doch wahrhaftig, wie Söhnchen Lydia eine >alte Dreckschleuder< nannte, hm! — was sagst du dazu? Findest du diesen ordinären Ausdruck im Munde eines vierjährigen Buben etwa angemessen?«
»Hm...«, antwortete Hellwang reichlich unbestimmt und ließ seine Meinung zu dem von der alten Dame angeschnittenen Thema offen.
Sie war von der Wahl geradezu begeistert und kam im Verlaufe des Tages noch mehrmals auf die Begegnung mit Sieglinda Zögling zurück. Die gräfliche Familie Idell-Idell spielte dabei eine große Rolle. Sie schlug in >Wer ist wer?< nach, wo sie alle Angaben von Fräulein Zögling über das alte Grafengeschlecht, von dem es sogar eine gefürstete Linie gab, vollauf bestätigt fand, und
Weitere Kostenlose Bücher