Die drei Hellwang-Kinder
das Fräulein sich leider werde allein behelfen müssen. Damit hievte sie die Koffer auf zwei Stühle und entschwand ins Treppenhaus.
»Und ich bin es gewöhnt, allein fertig zu werden!« rief Fräulein Zögling tapfer. Daraufhin entschied sich Konrad Hellwang zu einer zweiten, etwas tieferen Verbeugung und zu wortlosem Abgang. Er entfernte sich mit einem Gesicht, als wittere er irgendwo im Haus einen verdächtigen Brandgeruch. In seinem Zimmer ging er ans Fenster, starrte in den Nachbargarten hinüber, wo Direktor Beyerlein die Leimringe um die Apfelbäume untersuchte, und trommelte mit den Fingerspitzen einen Marsch gegen die Scheibe.
Fräulein Zögling brauchte nicht viel Zeit, um sich zu erfrischen. Sie pochte nach einer knappen Viertelstunde an die Tür seines Zimmers. Das Koffertragen schien ihr recht gut bekommen zu sein, denn ihre blassen Wangen waren zart gerötet, ihre Lippen kräftiger durchblutet, und sie verbreitete einen frischen Duft nach Eau de Cologne, als sie Hellwang gegenübertrat. Sie trug ein kapuzinerbraunes Wollkleid von streng geschlossenem Schnitt, es war mit einem schmalen Krägelchen und Ärmelaufschlägen garniert, die aussahen, als wagten sie es nicht recht, rosa zu sein, um nicht leichtfertig zu erscheinen. Hellwang hatte sie bisher nur im Hut gesehen, einem schlichten schwarzen Filz mit dreifingerbreiter Krempe. Jetzt bemerkte er, daß sie blond war und eigentlich recht hübsches, leuchtendes Haar besaß, aber es war glatt aus der Stirn gezogen und im Nacken zu einem schmucklosen, puritanischen Knoten zusammengerollt.
Er deutete auf einen der Sessel in der Plauderecke und bat sie, Platz zu nehmen, jedoch sie blieb für einen Augenblick verweilend neben dem Sessel stehen und sah sich in dem großen, hellen Raum um. Hellwang ahnte fast, was nun kommen würde und spielte nervös mit seinen Fingern.
»Hier entstehen also jene großen Werke, von denen auch Graf Idell-Idell nur in Tönen höchster Anerkennung und Hochachtung sprach«, stellte Fräulein Zögling mit fast andächtiger Stimme fest, und wie zur Entschuldigung und Erklärung ihrer inneren Ergriffenheit fügte sie hinzu: »Ich war nämlich noch niemals in der
— wenn dieser Ausdruck gestattet ist — Werkstatt eines Dichters.« — Ihr Blick streifte die langen Bücherborde, Holbeins Falkner, die Totenmasken Friedrichs des Großen und Moltkes und blieb an dem Schreibtisch haften. »Ja«, seufzte sie, »das ist wahrlich ein stimmungsvoller Raum. In dieser Atmosphäre müssen große und erhabene Gedanken wachsen...«
Großer, gütiger Gott im Himmel, dachte Hellwang und faltete die Hände, daß die Knöchel weiß hervortraten, soll das noch lange so weitergehen? — »Ja, es ist ein ganz hübsches, gemütliches; Zimmerchen«, murmelte er etwas verstört.
»Oh«, sagte das Fräulein und hob den Blick zur Decke empor, »auch ich hatte einmal den Ehrgeiz, mich sozusagen der Muse der Dichtkunst zu weihen, doch wie es im Leben geht...«
Hellwang schloß für eine halbe Sekunde die Augen. Als er die Lider wieder aufriß, schienen sie noch einmal so hell zu sein wie zuvor. »Nun«, fiel er mit erhobener Stimme ein, »wenn es so ist, dann werden Sie ja am besten wissen, daß die erhabenste Stimmung zum Teufel geht, wenn man nicht in Ruhe arbeiten kann. Bitte, setzen Sie sich jetzt, Fräulein Zögling, damit wir über Ihre Aufgaben in diesem Hause sprechen können.«
Er war im Grunde seines Wesens zart und menschenscheu. Dem glänzenden Schriftsteller Hellwang war es gänzlich unmöglich, vor fremden Gesichtern drei zusammenhängende Sätze frei zu sprechen. Im Verkehr mit der Umwelt verbarg er seine Unsicherheit und seine verletzliche dünne Haut hinter dem Panzer schweigsamer Höflichkeit. Zeit seines Lebens war er Hausierern, Firmenvertretern und Vericherungsagenten hilflos ausgeliefert. Ohne Luisas energisches Dazwischentreten wäre sein Schreibtisch vor Versicherungspolicen aller Art geborsten und das Haus für alle die Staubsauger, Klaviere, Radio- und Fernsehgeräte zu klein geworden. Es mußte Ungewöhnliches vorfallen, daß er sich dazu hinreißen ließ, jemandem glatt das Wort abzuschneiden. Auch jetzt überfiel ihn noch nachträglich über die eigene Kühnheit eine Art von fröstelndem Zittern. Es war wie das erste Freibad im Mai. Einmal mußte man ja ins Wasser. Also hoppla hinein! Schlug das Herz noch? Ja, es schlug wie immer, Gott sei Dank!
Fräulein Zögling knickte zusammen und nahm gehorsam in dem angebotenen
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