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Die drei Hellwang-Kinder

Die drei Hellwang-Kinder

Titel: Die drei Hellwang-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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matt erhellten Rechtecke der Fenster. Und der alte Direktor Beyerlein, in dessen Bibliothek auch ein paar Hellwangs standen, fragte bei einem gelegentlichen Grußwechsel, wann es wieder etwas Neues aus Hellwangs Feder zu lesen gäbe.
    Aber der Schwung hielt nicht sehr lange an. »Sie fehlen mir als Punchingball, lieber Vollerthun«, schrieb Hellwang an den Freund und Verleger, »ich komme mir wie ein Huhn vor, das die schönsten Eier legt, ohne daß jemand sein stolzes Gegacker zur Kenntnis nimmt.« —
    Es war inzwischen Sommer geworden, nach einem Winter, der ungewöhnlich streng gewesen war und ungewöhnlich lange angehalten hatte. Noch bis in die letzten Apriltage hinein hatte der Himmel aus grauen Wolken Schnee auf die Erde geschüttet. Fräulein Zögling war nun schon fast vier Monate im Hause. Der Sommer schien sie verjüngt zu haben. Sie trug ärmellose helle Kleider, und die Pflege der Blumenrabatten im Garten unter der prickelnden Junisonne hatte ihr Haar erstaunlich gebleicht und ihrer Hautfarbe einen rosigbräunlichen Schimmer verliehen. Die alten Herren in der Nachbarschaft guckten ihr nach, wenn sie mit den Kindern in den Wald oder zum Kaufmann Stangl ging. Und Oberst Habedanck hatte ihr einen Strauß von dem weißen gefüllten Flieder übers Gartentor gereicht, von dem üppigen Ausstellungsflieder, dem sich seine Gattin nur auf fünf Schritte Entfernung nähern durfte, wenn sie ein Messer in der Hand trug. —
    An dem Verhältnis zwischen Fräulein Zögling und Kathi hatte sich nichts geändert. Sie wichen einander nach Möglichkeit aus, sonst standen sie sich sozusagen Gewehr bei Fuß in abwartender Haltung gegenüber, wie zwei feindliche Heere während eines Waffenstillstandes, wo ein unglücklicher Zufall jedoch jeden Augenblick ein erneutes Losschlagen herbeiführen konnte.
    Kathi erlebte zur Zeit übrigens gerade einen neuen Liebesfrühling. Er hieß Xaver Simmetsreiter und war Gehilfe bei Spenglermeister Freutsmiedl. Während eines besonders strengen Nachfrostes war im Hause ein Wasserrohr eingefroren gewesen. Xaverl hatte es mit der Lötlampe >aufgeleint<, und so war die Bekanntschaft zustande gekommen. Außerdem aber besaß Herr Simmetsreiter einen VW älterer Bauart, der nun öfter in der Nähe des Hellwangschen Hauses parkte und auf dessen lockende Hornsignale — lang, kurz, kurz — das ganze Haus, mit Ausnahme von Fräulein Zögling natürlich, eingespielt war. Erscholl das Zeichen, so pflanzte sich der Ruf: »Kathi, der Xaverl wui was von dir!« von dem, der das Signal zuerst vernommen hatte, mit großer Geschwindigkeit bis zu Kathis Standort fort.
    Kathi hatte in diesem Jahr auf alle Faschingsfreuden verzichtet, sogar die freien Mittwochnachmittage und Sonntage hatte sie aufgegeben. Nun aber, da der VW und das junge Grün der Buchenwälder lockten, konnte sie dem Drängen ihres Freundes nicht länger widerstehen und nutzte ihre freien Tage wieder aus. Da sie es vermied, mit Fräulein Zögling überflüssige Worte zu wechseln, hinterließ sie ihr auf dem Küchentisch einen Zettel mit der lakonischen Weisung: >Um neun Ur Kaffe aufbrün, aber stark und in der kleinen Kanne dem Herrn Doktor auf die Schwalle stellen!« >Stark< und >Schwälle< waren dreifach unterstrichen.
    Fräulein Zögling fand den Zettel, als sie das Abendessen herrichtete. Sie brühte auch zur angegebenen Zeit den Kaffee auf und sparte nicht mit den Bohnen, aber dem Befehl Kathis zu folgen und die Kanne auf der Schwelle abzusetzen, verbot ihr denn doch ihre Würde. Sie klopfte an, hörte ein aufgestörtes, knurrendes »Herein« und sah Hellwang hinter schichtweise gelagerten Rauchschwaden am Fenster stehen.
    »Wo darf ich den Kaffee hinstellen, Herr Doktor?« fragte sie schüchtern und wünschte nun doch, daß sie lieber Kathis Anweisung gefolgt wäre, denn Hellwang machte einen ziemlich gereizten und ungnädigen Eindruck.
    »Stellen Sie ihn auf den Schreibtische, knurrte er, aus seinen Gedanken aufgestört, die ihn weit über den Atlantik in das Feldlager von New-Windsor getragen hatten, wo Steuben am 4. Juli 1779 seinem Freunde, dem Geheimen Rat von Frank in Hechingen, gerade geschrieben hatte: >Mein Freund, ich bin nunmehro unter Washington der fünfte General im Rang, und wenn ein Fieber oder ein Lot Blei meinen Lauf nicht unterbricht, so sind die Grenzen weitläufig genug, um meinen Ehrgeiz zu befriedigen...<
    Der Schreibtisch war mit Papieren, Zetteln und aufgeschlagenen Büchern übersät. Fräulein Zögling stand

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