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Die drei Hellwang-Kinder

Die drei Hellwang-Kinder

Titel: Die drei Hellwang-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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sehr, mehr über ihn und über Ihre Arbeit zu erfahren.«
    Als Kathi gegen elf Uhr vom Andechser Volksfest heimkehrte und zu ihrem Zimmer hinaufschlich — die Schuhe in der Hand und am Busen ein gewaltiges Lebkuchenherz in flammend rotem Cellophan und mit der mahnenden Aufschrift >Bleib mir 3, 4 + 4< — hörte sie im Arbeitszimmer Stimmen. War Besuch gekommen? Sie hatte an der Garderobe doch keinen fremden Mantel oder Hut gesehen und auch sonst nichts bemerkt, was auf die Anwesenheit eines Gastes schließen ließ...
    Sie blieb sekundenlang auf dem Treppenabsatz stehen, um zu lauschen. Es waren doch zwei Stimmen. Nein, sie täuschte sich nicht...Hellwangs Stimme und — die Stimme der Neuen! Wahrhaftig! Das war nun allerdings eine Überraschung, die es in sich hatte. Pfüeti God! — Das Herz blieb ihr für einen Augenblick stehen und schlug dann plötzlich laut und hart bis zum Halse hinauf. Die Neue im Arbeitszimmer des Doktors! Und das um elf Uhr in der Nacht!! Und sie hörte, die Hand aufs Herz pressend, wie Hellwang in seinem Zimmer auf und nieder ging und sprach, in genau dem gleichen Ton sprach, wie er früher zu der seligen Frau gesprochen hatte...
    Eine heiße Welle von Zorn und Empörung flutete in Kathis Gesicht. Das Brathendl, das sie mit zwei Maß Märzenbier hinuntergespült hatte, begann in ihrem Magen zu flattern. Sie schluckte schwer. Oh, sie hatte ja von Anfang an gewußt, daß die Neue es nicht aufs Brot allein abgesehen hatte, als sie damals ins Haus kam. Aber wer konnte ahnen, daß sie es so eilig haben würde, sich an den Doktor heranzumachen — Sakrament no’amal, so ein heimtückisches Luder, so ein heimtückisches! Dafür waren also die Hormoncreme und der Lippenstift, die Gurkenmilch für die Haut und die Wimperntusche berechnet, die sie in der Kommodenschublade verwahrte, ganz hinten in einer harmlosen Seifenschachtel, aber eben doch nicht gut genug versteckt für einen, der seine Untersuchungen gründlich durchführte! Kathi kicherte grimmig in die Dunkelheit hinein. Dafür also hatte sich dieses raffinierte Frauenzimmer die hellen, kurzärmeligen Blusen angeschafft und das Blondiermittel für die Haare! Kathi ballte die Fäuste und schüttelte sie gegen die Tür. Das könnte der so passen, sich ins fertige, warme Nest zu setzen! Na warte, Herzerl — vorläufig ist ja noch jemand da, der ein wachsames Auge besitzt und das zu verhindern wissen wird, was da fein gesponnen werden soll!
    Kathi schlich die Treppe genau so geräuschlos hinab, wie sie heraufgekommen war. Auf der untersten Stufe setzte sie sich nieder und zog die Schuhe mit den kräftigen Absätzen wieder an. Und dann stapfte sie die Treppenstufen hinauf, recht laut und vernehmlich, und dazu pfiff sie die Polka von der Zillertaler Blasmusik. Die sollte es nur hören, die Neue, daß sie da war, das sollte sie nur merken, und der Doktor auch!
    Hellwang riß die Tür auf: »Hallo, Kathi!« rief er und schaute sie an, als traue er seinen Augen nicht, »Sind Sie total verrückt geworden, mitten in der Nacht solch einen Lärm zu machen? Was ist mit Ihnen los?!«
    »Verrückt? Nicht daß ich wüßte«, antwortete Kathi in zierlichem Schriftdeutsch; sie beugte sich vor und ließ das flammende Lebkuchenherz mit seiner mahnenden Inschrift frei in der Luft baumeln, »lustig bin ich halt, mir macht das Leben Freude. Gute Nacht wünsch ich allerseits und gute Unterhaltung!« Sie hob grüßend die Hand, winkte neckisch mit den Fingern und verschwand in ihrem Zimmer. Hellwang schloß kopfschüttelnd und ziemlich bestürzt die Tür.
    »Es scheint in der Nähe eine Kirchweih stattgefunden zu haben«, bemerkte er wie zur Entschuldigung für Kathis fidele Heimkehr, »nun, gönnen wir ihr das Vergnügen...« Er seufzte ein wenig, und Fräulein Zögling warf ihm unter gesenkten Lidern einen raschen Blick zu.
    »Sie lassen Kathi recht viele Freiheiten und Sie lassen ihr sehr viel durchgehen«, bemerkte sie, aber es kam nicht ganz deutlich heraus, ob sie diese Großzügigkeit angebracht fand oder ob sie sie mißbilligte.
    »Nun ja, was soll man machen?« fragte er mit einer verzagten Handbewegung, die komisch wirken sollte, »an Kathi werden wir nichts ändern, die ist ihr eigenes Monument — aus Granit. Ich bin nur herzlich froh«, fuhr er arglos fort, »daß Sie mit Kathi so gut auskommen. Offen gestanden habe ich damals, als ich mit Ihnen zum erstenmal über Kathi sprach, sehr große Sorgen gehabt, Sie würden mit ihr einige Schwierigkeiten zu

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