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Die drei Hellwang-Kinder

Die drei Hellwang-Kinder

Titel: Die drei Hellwang-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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der Flasche in ein nebelhaftes Gebilde aufzulösen, durch das man hindurchschreiten konnte, ohne es recht gewahr zu werden.
    Eines Tages kam überraschend Christian Vollerthun, Hellwangs Verleger, für ein paar Stunden zu Besuch in die Mozartstraße. Er war auf der Durchreise nach Salzburg, wo einer seiner Autoren lebte, den er neu entdeckt hatte. Sein Zug fuhr am Abend weiter. Vollerthun, ein blühender Sechziger, lebendig und voller Feuer, Freund eines guten Tropfens und eines klugen Gesprächs, hatte den jungen Hellwang entdeckt, gefördert und war dem Manne Hellwang ein Freund geworden.
    »Ich komme nur heran, um Sie ein wenig aufzumuntern, mein Lieber. Oder haben Sie etwa eine Überraschung für mich parat? Wollen Sie mir gar das fertige Manuskript für die langweilige Nachtfahrt in die Hand drücken?«
    »Sie werden sich ein anderes Schlafmittel besorgen müssen«, sagte Hellwang bitter und bissig. Sie setzten sich in Hellwangs Arbeitszimmer in die gemütliche Ecke und köpften eine Flasche Rotwein.
    »Also, Hellwang, wie steht die Arbeit?«
    »Von stehen ist keine Rede, Vollerthun — sie liegt und schläft. Ich komme nicht weiter. Die Zündung fehlt. Der Faden ist gerissen. Ich versuche, ihn immer wieder zu knüpfen, aber er rutscht mir aus den Fingern. Dabei will ich arbeiten, glauben Sie mir! Aber ich scheitere an jenem leeren Sessel dort...« Er hob das Gesicht und deutete mit dem Kinn in die Richtung, wo unter Luisas Bild auf dem Bücherbord der kleine braune Sessel stand, in dem sie ihm so oft gegenübergesessen hatte. Vollerthun nickte stumm. Luisas Schatten schwebte durch das halbdunkle Zimmer.
    »Verstehen Sie mich recht«, fuhr Hellwang nach einer kleinen Weile fort, »es war nicht so, daß Luisa mir etwa half, es war nicht einmal so, daß wir über meine Arbeiten lang und breit diskutierten. Ihre Klugheit war von anderer Art. Sie besaß Geduld und sie besaß vor allem die Gabe, zuhören zu können. Sie war die Reibfläche, an der ich mein bißchen Feuer entzündete. Sie lebte für mich. — Jetzt erst, nach ihrem Verlust, kommt es mir zu Bewußtsein, wie tyrannisch ich über Luisa und ihre Zeit verfügte. Ob sie kochte oder bügelte, mit den Kindern spielte oder lernte, dem Kleinen Nase und Podex putzte oder am Nähtisch saß — wenn ich rief, war sie für mich da.«
    Vollerthun nickte: »Eure Frauen haben wahrhaftig kein leichtes Los gezogen, ich weiß es...«
    Dann kauerte sie dort in jenem Sessel, mit den Gedanken vielleicht noch ganz woanders, aber immer mit dieser wunderbaren Bereitschaft für mich. Nie ließ sie sich anmerken, daß ich sie mitten aus seiner Arbeit herausgerissen hatte, die eine Unterbrechung schlecht oder sogar überhaupt nicht vertrug. Mochte die Milch anbrennen, das war ihr in diesem Augenblick nicht wichtig. >Nun bin ich aber wirklich gespannt, wie du das gelöst hast<, sagte sie dann, und ich las ihr den Abschnitt, den ich gerade geschrieben hatte, vor und entwickelte ihr die Fortsetzung der Geschichte. Ich verlangte kein Urteil von ihr zu hören, obwohl es mich tief beruhigte, wenn sie dann sagte, das hätte ich fein gemacht oder das wäre mir gut gelungen. Sie war so gradlinig, so gänzlich unkompliziert, ihr Verstand war so herrlich gesund und unverdorben — ich glaube, sie hätte mit den Grimmschen Märchen jahrelang auf einer einsamen Insel leben können. Ihr lag so sehr das Knappe, Einfache, Klare, daß ihre bloße Gegenwart mich zwang, knapp, einfach und klar zu denken und zu schreiben. Hier lief ich auf und ab, und dort saß sie. Für einen Zuhörer hinter der Tür hielt ich endlose Monologe, und Luisa war stumm. Aber es waren Zwiegespräche, verstehen Sie?«
    Natürlich verstand Vollerthun. Er blieb lange schweigsam, drehte den Kelch in seinen Händen und starrte in den dunklen Rubinspiegel des Weines.
    »Und trotzdem müssen Sie Weiterarbeiten, Hellwang!« sagte er schließlich, »nicht mir zuliebe und auch nicht Ihnen zu Gefallen — ganz abgesehen davon, daß diese alberne Redensart von der Arbeit >um zu vergessen oder einen Schmerz zu betäuben< ein ganz gottverdammter Blödsinn ist, der die Arbeit mit irgendeinem Pillendreck auf eine Stufe stellt. — Nein, Hellwang, Sie müssen arbeiten, weil Sie etwas zu sagen haben!« Er nahm einen Schluck aus dem Glase und ließ den Rotwein über die Zunge rollen. Es war ein milder Burgunder, ein Hochgewächs der Lage Clos Vougeot, von delikatem Aroma und voll Körper. Sein Schwiegervater, der etwas von Weinen verstand,

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