Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die drei Hellwang-Kinder

Die drei Hellwang-Kinder

Titel: Die drei Hellwang-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
hatte Hellwang zehn Flaschen zu Weihnachten geschickt, und sicherlich hatte er sich schweren Herzens davon losgerissen.
    »Was Ihre Frau Ihnen bedeutet hat und welchen Platz sie immer in Ihrer Erinnerung einnehmen wird, weiß ich genau. Beurteilen Sie also den Vorschlag, den ich Ihnen machen will, nicht falsch. Es gibt keinen Ersatz für das, was Sie verloren haben, aber es muß etwas geschehen, was Sie zu Ihrer Arbeit zurückführt. — Sehen Sie, jeder Mensch entwickelt im Laufe der Jahre seine Arbeitsweise. Bei Ihnen besteht sie zum großen Teil darin, im Gespräch zu denken. Haben Sie nicht einen Menschen, der bereit wäre, Ihnen sozusagen als geistiger Punchingball zu dienen?«
    Hellwang war erst verblüfft und lachte dann laut auf. Der Vorschlag Vollerthuns kam ihm grotesk vor, so gut er gemeint sein mochte. Hier klaffte der Spalt zwischen Verleger und Schriftsteller, der Spalt zwischen praktischer Vernunft und jenem anderen Geist, der die, die ihn besaßen, zur Verteilung der Erde zu spät kommen ließ.
    »Nehmen Sie mir’s nicht übel, Vollerthun, aber diesen geistigen Punchingbalh dürfen Sie sich patentieren lassen! Hol s der Teufel, aber wie stellen Sie sich das eigentlich vor? Inseriert man da in den Neuesten Nachrichten: Ruhige, ältere Dame gesucht, die — in geistigen Geburtswehen erfahren — brach liegendem Schriftsteller beim Brutgeschäft behilflich sein kann? Wie? Oder soll ich vielleicht Fräulein Zögling zu meinem Punchingball machen?«
    »Warum nicht?« fragte Vollerthun, ohne sich im mindesten aus der Ruhe bringen zu lassen oder sich gar über die Spötterei zu kränken, »warum nicht, wenn’s hilft... «
    Zum Abendessen gingen sie hinunter. Fräulein Zögling versah die Hausfrauenpflichten mit großem Geschick. Sie hatte den Tisch hübsch gedeckt und die Platte mit kaltem Aufschnitt so appetitlich angerichtet und garniert, daß sogar Hellwang tüchtig zugriff. Vollerthun, immer ein bißchen Schwerenöter, hofierte Fräulein Zögling und schien sie anziehend zu finden. Jedenfalls führte er das Gespräch in bester Laune, ein Zeichen dafür, daß er angeregt war. Auch Britta und Lydia durften mit bei Tische sitzen, während Söhnchen schon längst zu Bett gebracht worden war. Die Kinder liebten Onkel Vollerthun, hauptsächlich wohl deshalb, weil er nie vergaß, ihnen zu allen Festtagen hübsch beklebte Büchsen mit Nürnberger Lebkuchen und prächtige Bonbonnieren zu schicken. Als alter Junggeselle fand er zu Kindern keine rechte Einstellung. Er kam über eine Art von Säuglingston im Umgang mit ihnen nicht recht hinaus, und seine Fragen nach ihren Leistungen in der Schule wurden zuweilen peinlich, aber die Pralinen entschädigten sie reichlich für seine mangelnden Unterhaltungstalente.
    Später, als die Zigarren brannten und die Herren sich bei der zweiten Flasche Clos Vougeot wieder in Hellwangs Arbeitszimmer zurückgezogen hatten, überredete Vollerthun Hellwang, et- * was aus dem entstehenden Buche vorzulesen, von dem er vorläufig nur den Titel und einige Stichworte über den Rohstoff kannte. Der Abschnitt, den er hörte, versetzte ihn in helle Begeisterung, und den Rest des Abends füllte ein Gespräch über das entstehende Werk, das eigentlich erst beendet wurde, als der Signalstab des Fahrdienstleiters Vollerthuns Zug aus der Halle des Münchener Hauptbahnhofes auf die Reise schickte.
    Einen knappen halben Tag nur hatte dieser Besuch gedauert, aber die wenigen Stunden in Vollerthuns Gesellschaft waren Hellwang ungewöhnlich gut bekommen. Die Ehrliche Freude Vollerthuns an dem neuen Buch und das angeregte Gespräch, über dem sie fast die Abfahrtszeit vergessen hätten, spornten Hellwangs Schaffensdrang mächtig an und schufen zwischen ihm und der stillgelegten Arbeit neue Beziehungen. Der Schreibtisch zog ihn wieder an, und die verblaßte Gestalt seines Helden Friedrich von Steuben begann sich wieder mit Blut und Leben zu füllen.
    Ja, er arbeitete wieder. Die Kinder mußten auf den Spielpartner bei Quartett und >Mensch-ärgere-dich-nicht< verzichten. In dem großen gelben Aschenbecher auf dem Schreibtisch wuchsen allabendlich die Zigarrenreste wieder zu ansehnlichen Bergen auf, und Kathi mußte sich wieder daran gewöhnen, abends um neun das kleine, genau zwei Tassen fassende Kännchen Kaffee aufzubrühen und unter der dick wattierten Haube auf die Schwelle seines Arbeitszimmers zu stellen. Dort brannte die Lampe bis tief in die Nacht hinein, und die Falter pumperten gegen die

Weitere Kostenlose Bücher