Die drei Hellwang-Kinder
rechten Fußes klopfte ungeduldig die Schwelle. Dann schob sich Kathis breiter Rücken ins Bild, Hellwang trat zurück, und dann fiel die Tür wie ein weißer Vorhang über die Szene. Fräulein Zögling richtete sich auf und verharrte eine Weile mit seitlich geneigtem Kopf auf der Stelle, aber es drang kein Laut zu ihr herüber. Sie drehte sich langsam um und begegnete erschreckt zusammenfahrend, als entdecke sie einen unvermuteten Zuschauer, ihrem eigenen Gesicht in dem großen, rahmenlosen Spiegel, der über dem Waschbecken hing. Sie biß sich auf die Lippen. Für den Bruchteil einer Sekunde flog ein Schatten über ihr Antlitz, der Anflug eines schwachen Schmerzes, der flüchtige Flügelschlag eines Gefühls der Scham; es war, als verteile sich ein einziger Blutstropfen rasch bis in die kleinsten Aderverästelungen der Haut. Dann hob sie die Augen wieder empor und trat ihrem Spiegelbild einen kleinen Schritt entgegen und noch einen, bis sie dicht vor dem Glase stand; sie sah sich aufmerksam und fast neugierig an, als erblicke sie ihr Gesicht zum erstenmal. Und plötzlich schüttelte sie die lästigen Gedanken ab und warf den Kopf mit einer heftigen Bewegung zurück. Was hieß hier krumm und was gerade? Bei diesem Spiel war jede Kriegslist erlaubt, wenn sie nur zum Erfolg führte.
Drüben im Arbeitszimmer öffnete Hellwang die Schleusen seines Zornes über Kathi. Vier Finger in der Jackentasche und die Daumen steil aufwärts gespreizt, wanderte er gereizt und mit bösem Gesicht vor Kathi auf und nieder, als schreite er eine ganze Front von Missetätern ab. Luisa hätte bei seinem Anblick gelächelt. Wenn ihn eine Figur faszinierte, und die Helden seiner Arbeit faszinierten ihn stets, dann geschah es oft, daß er sich mit ihnen in hohem Maße identifizierte. Sie hatten es manchmal nicht ganz leicht gehabt, monatelang mit dem >allenintertänigsten Rebellen Yorck von Wartenburg<, mit Ulrich von Hutten, mit dem Kardinal Richelieu, mit Friedrich List oder mit Heinrich Schliemann, um nur einige Namen zu nennen, zusammenzuleben. Jetzt war es also Friedrich Wilhelm von Steuben, der einen unbotmäßigen Offizier seiner Suite abkanzelte.
Seine Tirade begann mit einer etwas allgemein gehaltenen Betrachtung über das Wesen eines Hausstandes, worin eben der Teufel los sei, wenn der einzelne sich nicht einordnen könne und wenn jeder nur an sich und nicht an das Wohl der Gemeinschaft dächte. — Kathi machte einen ziemlich gelangweilten Eindruck, der Hellwang aufs tiefste verdroß, und so polterte er unverzüglich in den Hauptteil seiner Ausführungen hinein: Was sie sich denn eigentlich in Dreiteufelsnamen einbilde! Ob er ihrer Meinung nach Fräulein Zögling engagiert habe, um Kathi einen Streich zu spielen und um ihr jemanden vor die Nase zu setzen, nur, damit sie einen Grund hätte, sich zu .ärgern und die gekränkte Leberwurst zu spielen?! Es sei für ihn, weiß Gott, kein leichter Entschluß gewesen, Haus und Kinder einem fremden Menschen anzuvertrauen. Was für einen Mißgriff hätte man da tun können. Und wie froh könne man sein, solch einen angenehmen und zuverlässigen Menschen wie Fräulein Zögling gefunden zu haben! Die Kinder hingen an ihr und verehrten sie, er selbst sei mit Fräulein Zögling zufrieden, ach was, mehr als zufrieden! Er sei geradezu glücklich darüber, wie gut sie mit den Kindern umzugehen verstände und wie glänzend sie im Hause für Ordnung sorge. Endlich käme er wieder zu seiner Arbeit, endlich sei er wieder ungestört und unbehelligt von allem Kleinkram, der sonst auf ihn eindringen würde...Und da wären also alle froh und zufrieden — und nur dem Fräulein Kathi passe die neue Hausgenossin nicht. Das Fräulein Kathi Zirnmoser stänkere und intrigiere und ließe seinem Eigensinn und seiner üblen Laune freien Lauf, und warum? Danke! Sie brauche kein Wort zu verlieren! Er kenne diese Gründe sehr genau! Aber alles verstehen hieße noch lange nicht, auch alles verzeihen. Im Gegenteil, er billige diese Gründe ganz und gar nicht, und am allerwenigsten werde er dulden, daß Kathi die Kinder gegen Fräulein Zögling aufhetze! Ja, zum Teufel, auf der einen Seite gäbe sie vor, die Kinder gern zu mögen, andererseits aber denke sie nicht daran, welche Schäden sie in den Seelen der Kinder anrichte, wenn sie versuche, in den kleinen Herzen Zwietracht und Mißtrauen zu säen! —
Kathi hörte aufmerksam zu. Sie hielt den Kopf höflich vorgestreckt und lauschte Hellwangs Worten, als dürfe sie
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