Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)
atmen. Tiefe, gleichmäßige Atemzüge, so beherrscht wie möglich. Ich hörte auf, sie zu hassen, und starrte an die Wand. Dann holte mich Nanakos Stimme zurück in die Realität.
»Hier ist jemand, der gerne mit dir sprechen würde«, sagte sie in den Hörer, den sie gleich darauf mir reichte.
»Hallo?« sagte ich.
Ich hörte die Umgebungsgeräusche irgendeines belebten Ortes und dann einen einzigen schweren Atemzug. Es könnte ein Seufzer gewesen sein. Plötzlich drang im Hintergrund die vertraute Stimme eines berühmten Rappers aus einem Lautsprechersystem: »Would passengers SMITH and JOHNSON on flight BA three-eigh-dee to London HeathROW please make yer way to boarding GATE …« Dann brach die Verbindung ab.
Ich starrte zu Boden. Starrte so konzentriert es ging.
»Das war Butterfly«, sagte ich und blickte von Beatrice zu Nanako. »Das war Butterfly, oder?«
»Ja«, antwortete Nanako.
»Sie ist in New York.«
»Am Flughafen. Sie fliegt zurück nach Paris.«
»Also ist sie wirklich nicht tot.«
»Nein. Sie ist nicht tot.«
»Wer wohnt in der Charles Street Nummer 15?«
Beatrice hob die Hand. »Das wäre dann wohl ich.«
Mein Handy gab in meiner Tasche zwei Pieptöne von sich und vibrierte. Ich sah auf das Display und dort stand: 1 message reçu . Die Nachricht war von Butterfly (US) .
Tut mir leid, Ben. So sollte das nicht laufen. Beatrice hat es versaut. Frag sie, wie sie da mit drinhängt. Tut mir leid. Butterfly.
Ich stand auf, ergriff die Hand von Butterflys Mutter und sagte: »Ich bin so unglaublich dumm. Ich bin hierhergeflogen, um etwas über Butterfly herauszufinden. Dabei hätte ich sie einfach selbst fragen sollen.« Wie aus heiterem Himmel erfüllte mich plötzlich kalte Entschlossenheit, doch Nanako gegenüber war ich höflich und aufrichtig. »Ich hätte Sie gern unter anderen Umständen getroffen. Vielleicht bekommen wir ja noch ein andermal die Gelegenheit dazu. Ich fürchte, ich muss mich jetzt verabschieden. Sie müssen mich für schrecklich ungehobelt halten. Vielen Dank für Ihre Hilfe. Sie haben mir nämlich geholfen. Entschuldigen Sie vielmals, dass ich hier so reingeplatzt bin und jetzt schon wieder gehe. Es hat mich wirklich gefreut, Sie kennenzulernen.«
»Ich weiß immer noch nicht, was hier überhaupt los ist. Butterfly muss Ihnen wirklich ganz schön übel mitgespielt haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das ihre Absicht war. Sie hat so oft von Ihnen gesprochen. Ich glaube, sie mag Sie wirklich gern.«
»Danke, nett, dass Sie das sagen. Und vielen Dank, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben. Komm, Beatrice, wir haben etwas zu erledigen.«
Als wir im Aufzug standen, fragte Beatrice: »Was haben wir denn zu erledigen?«
Ich rang mir ein Lächeln ab. »Uns einen ziemlich großen Drink zu bestellen. Vielleicht höre ich dann auf, sauer auf dich zu sein, und du kannst mir ein paar Sachen erklären. Die große Auflösung. Und das ist dann wohl das Ende der Geschichte.«
»Okay, ich erkläre es dir. Wo willst du denn etwas trinken gehen?«
»Ist mir egal. Nur nicht hier. Und auch nicht im West Village. Irgendwo, wo ich noch nicht war, ja?«
»Okay.«
Während wir Richtung Osten die Straße hinunterliefen, nahm ich Beatrice’ Hand. Warum, weiß ich nicht. Sie starrte auf die Bürgersteigplatten unter ihren Füßen.
Als vor jedem von uns ein großes Glas Wodka-Tonic auf dem Tisch stand, fing ich an. »Warum bist du mit mir zu Butterflys Mutter gegangen?«
»Ich wollte überhaupt nicht, erinnerst du dich? Du hast darauf bestanden.«
»Du hättest mir doch auch einfach so erzählen können, dass Butterfly am Leben ist. Du hättest mir sagen können, was los ist.«
»Nein, konnte ich nicht. Ich hatte es versprochen.«
»Was soll das heißen?«
»Ich war in einer total ausweglosen Situation. Ich wollte einer Freundin dabei helfen, etwas Aufregendes auf die Beine zu stellen, ein Abenteuer für jemand Besonderen. Und dafür musste ich hin und wieder ein bisschen schwindeln. Außerdem habe ich ihr versprochen, das eine oder andere für mich zu behalten. Aber dann wurde ich mit hineingezogen und das Ganze wurde immer seltsamer und der Druck immer größer und auf einmal steckte ich total in der Klemme. Mit anderen Worten: Ich habe alles verdorben, für alle Beteiligten und genauso für mich selbst. Aber ich sollte wohl besser vorne anfangen.«
»Klingt vernünftig.«
»Okay. Tja, Butterfly hat mich gebeten, ihr einen Gefallen zu tun …«
»Also kennst du
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