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Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Titel: Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Constable
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es küssen möchtest?«
    »Okay, du hast recht. Dann liebe ich Paris wohl doch nicht.«
    »Ich schon«, sagte sie. »Ich könnte es küssen und streicheln und manchmal, wenn gerade keiner in der Nähe ist, reibe ich mich mit dem ganzen Körper daran.«
    Wir brachen in schallendes Gelächter aus.
    »Pass lieber auf, du frivoles Ding, sonst ruinierst du dir noch die Klamotten.«
    Tomomi Ishikawas Witze waren meistens besser als meine, allerdings war sie meistens auch betrunkener.
    Am nächsten Tag blieb ich bis elf Uhr im Bett liegen. Nach einer Schale Cornflakes ging ich ins Internet, um die Orte, die Tomomi Ishikawa beschrieben hatte, auf dem Stadtplan zu suchen, und während ich meinen Gedanken nachhing, glitt der Tag an mir vorbei, doch ich gönnte mir den Luxus, es kein bisschen eilig zu haben.
    Die zweite Hälfte des Nachmittags war bereits angebrochen, als ich die Metrostation Gambetta in der Nähe des Friedhofs Père Lachaise erreichte. Ich schlenderte ein paar Hundert Meter bergab und fand mich an einer begrünten Kreuzung wieder, wo mein Blick auf zwei Straßen fiel, die ein Stück bergauf führten und dann einfach aufzuhören schienen, wie eine Klippe, die steil zum Meer abfällt. Ich war mir sicher, schon mal hier gewesen zu sein, vielleicht als Kind, oder nein, ich hatte im Auto gesessen und eine Abkürzung genommen. Dann musste ich mir in Erinnerung rufen, dass ich in Paris nie ein Auto gehabt hatte. Dieser Ort konnte nur einem Traum oder meiner Fantasie entsprungen sein. Die rechte der beiden Traumstraßen war die Rue Gasnier-Guy. Ich ging über die Ampel und den Hügel hinauf, und als ich oben ankam, spürte ich ein Kribbeln im Magen, wie bei einer schnellen Fahrt über eine gewölbte Brücke. Ich war beinahe enttäuscht, als ich sah, dass die Straße auf der anderen Seite bloß wieder steil bergab führte und nicht den Blick auf ein verborgenes Königreich oder irgendetwas anderes Magisches freigab.
    Rechts befand sich ein kleiner stufenartig angelegter Garten. Auf einem Schild am Tor stand Papilles et Papillons . Einen Moment lang starrte ich durch das Zaungitter, dann ging ich hinein. Das Durcheinander, das dort herrschte, hatte etwas Beruhigendes an sich. Dies hier hatte nichts mit den geschniegelten Parks und makellosen Gärten in dieser Stadt zu tun, die ich zu übersehen pflegte. Eine der Mauern war mit einem Wandbild verziert und überall wuchsen kleine Pflanzen, versehen mit Namensschildchen. Ich sah einen großen Busch mit Hunderten winziger lila Blüten an zapfenförmigen Blütenständen, die in alle Richtungen zeigten. Zwei Schmetterlinge flatterten darum herum. Ich blieb stehen und beobachtete sie und nach einer Weile sah ich einen weiteren, nein, vier.
    Ich ging zurück über die Straße und die Stufen hinauf, die einmal zur Rue de la Cloche geführt haben, von der Butterfly geschrieben hatte, sie sei völlig zerstört. Das hier war die Grenze von Tomomi Ishikawas Territorium. Ich drang immer weiter in ihr Viertel vor. Statt der alten Straße fand ich einen weiteren Garten vor, neu und seelenlos. Er konnte erst vor wenigen Wochen angelegt worden sein. Wahrscheinlich brauchen Gärten Jahre, um heranzuwachsen. Ich lief weiter, bis ich die Rue des Pyrénées erreichte, überquerte sie und suchte nach der winzigen Treppe, die zur Passage des Soupirs führte. Ich stieg die Stufen hinauf und verliebte mich auf den ersten Blick in das Gässchen, in dem jedes Gebäude eine andere Form hatte. Moderne, kastenförmige Wohnbauten aus Holz, ältere Häuser, die sich hinter zugewucherte Vorgärten duckten, und Türen, aus denen man direkt auf die Straße trat (wenn man überhaupt von Straße sprechen konnte, schließlich war sie kaum breit genug für ein Auto).
    Der Jardin des Soupirs lag zu meiner Rechten, lang und schmal, im Schatten der benachbarten Gebäude. Die Pflanzen schmiegten sich zu beiden Seiten dicht an den mittleren Pfad und ein Stück weiter standen ein paar kleine Schuppen mit bedruckten Schildern daran, die ich nicht las – vermutlich Aufbewahrungsschränke für Samen oder andere Sachen –, und eine Vogelscheuche. Ein Mann schien gerade irgendein Gartengerät zu reparieren. Er blickte zu mir hoch und ich lächelte, während ich zwischen den winzigen Blumen- und Kräuterbeeten dahinwandelte. Ich kam an einer lila gestrichenen, efeubewachsenen Wand vorbei und erreichte schließlich das Ende des Gartens, wo in einem kleinen gepflasterten Bereich eine Bank und ein paar Stühle

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