Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)
Cat und ich verließen die Bibliothek, bogen um die Ecke und gingen in das französische Café an der Kreuzung zwischen 11th und 4th Street, wo ich mich mit Beatrice getroffen hatte. Ich bestellte mir ein Bier und begann zu lesen.
Dr. med. Guy Bastide (1944 – 2000)
Dies ist die Geschichte eines Mordes.
Bis heute bin ich überzeugt davon, dass ich keine andere Wahl hatte, als Dr. Bastide zu töten. Die Ausweglosigkeit meiner Situation hätte vielleicht in gewisser Weise mein Handeln gerechtfertigt, nicht aber meinen Drang, ihn zu bestrafen. Schlimmer noch: Ich weiß, dass ich niemals auf den Gedanken gekommen wäre, aus Verzweiflung oder Rache einen Menschen zu töten, wenn ich diese exquisiteste und grausamste aller Delikatessen nicht schon einige Male gekostet hätte. Die beschämende Wahrheit ist, dass ich sogar nach einem Grund suchte, es noch einmal tun zu können. Und so bildete sich langsam der Vorsatz in mir, in dessen Verwirklichung ich kurz darauf wie von selbst schlitterte. Es gibt keine mildernden Umstände, nur ein Motiv, und auch das ist nicht gut genug.
Während der japanischen Besatzungszeit waren die Familien meines Vaters und seiner Kindheitsfreundin aus der Mandschurei, wo sie beide geboren worden waren, quer über den Globus gereist, erst zurück ins Nachkriegsjapan, dann nach Kalifornien und schließlich nach New York. Dass er eine beste Freundin statt eines besten Freundes hatte, war ungewöhnlich genug, und dass er immer wieder nach Gründen suchte, ihr dorthin zu folgen, wohin es sie trieb, wohl noch mehr, doch für diejenigen, die ihn kannten, war das nur ein weiteres Indiz für seine Einzigartigkeit und allenfalls Anhänglichkeit. Mein Vater hatte keine Geschwister und fand bei seiner besten Freundin alles, was er sich an familiärer Verbundenheit nur wünschen konnte. Das war die Basis ihrer Beziehung.
Komori beschloss, meinem Vater nicht zu erzählen, dass sie sterben würde. Es würde ja auch nicht besonders schnell gehen. Möglicherweise blieben ihr noch fünf, zehn oder vielleicht sogar fünfzehn Jahre. Niemand konnte das sagen. Erst viel später, als eine heftige Magenverstimmung ihr Angst einjagte, gestand sie ihm alles. Daddy war am Boden zerstört. Er sorgte dafür, dass sie die bestmögliche Behandlung bekam, sich den modernsten Scans und jeder nur vorstellbaren Untersuchung unterzog. Sie lief von einem Arzt zum nächsten, bis sie nicht mehr konnte, anschließend versuchten Heilpraktiker ihr Glück, doch der Einzige, bei dem sie sich je gut aufgehoben fühlte, war der junge, ruhige und im Grunde recht durchschnittliche Dr. Guy Bastide.
Bastide hatte französische Vorfahren, die es zwei Generationen zuvor über Quebec nach New York verschlagen hatte. Obwohl er selbst kein Französisch sprach, wies er andere äußerst gern auf die korrekte Aussprache seines Namens hin (Giiie Bastiiied) und war für seine humorvolle, sanfte Art bekannt.
Er arbeitete mit den unheilbar Kranken. Er kannte keine Wunderheilmittel oder Spezialtherapien. Als Arzt war er pragmatisch, ging Probleme immer eins nach dem anderen an und suchte mithilfe erprobter wissenschaftlicher Methoden nach der besten Lösung. Diese Strategie hatte etwas angenehm Beruhigendes. Und auf diese Weise hielt er Komori am Leben.
Einige Monate nach ihrem Tod rief er mich an. Er nahm sich die Zeit, in Erfahrung zu bringen, wie es mir ging, bevor er auf den heiklen Grund seines Anrufs zu sprechen kam: irgendeine noch ausstehende Geldsumme, die durch die Versicherung nicht abgedeckt war. Das Ganze war mir furchtbar peinlich. Ich entschuldigte mich mehrmals und versprach, nach einer Lösung für das Problem zu suchen.
Komoris Nachlass umfasste leider nicht besonders viel Geld. Sie hatte mir nicht viel mehr als ihre Wohnung vererbt. Ich versuchte, meinen Vater zu erreichen, was mir jedoch (wie immer) nicht gelang, und er rief mich auch nicht zurück. Ich hoffte, dass ich vielleicht bei der Bank einen Kredit aufnehmen konnte, um die Schulden zu begleichen. Erst einmal aber musste ich wissen, um welche Summe es sich handelte und ob sich über die Konditionen verhandeln ließ.
Nachdem ich das Problem ein paar Tage vor mir hergeschoben hatte, hinterließ ich eine Nachricht auf Bastides Anrufbeantworter und er rief mich am späten Nachmittag zurück. Er schlug vor, zu mir nach Hause zu kommen, um alles in Ruhe zu besprechen, und ich willigte ein.
Seine Worte waren so taktvoll wie immer.
»Wie Sie aus eigener Erfahrung wissen,
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