Die drei Lichter der kleinen Veronika
gegrault, weil wir dumm waren«, sagte Tante Mariechen.
Johannes Wanderer amüsierte sich.
»Wer weiß, ob wir heute so viel klüger sind«, meinte er.
»Ich bestimmt«, sagte Tante Mariechen und ärgerte sich.
»Aber Johannes, du denkst doch nicht wirklich, daß Veronika ...« – Frau Regine schwieg ratlos und unsicher. Sie war einer von den Menschen, die nie ganz zum eigenen bewußten Ich erwacht sind und nicht wissen, wohin sie steuern sollen.
»Das ist alles Unsinn«, sagte Tante Mariechen klar und kraftvoll, »du hast kuriose Ideen, Johannes, seit du von deinen weiten Reisen zurückgekommen bist. Du mußt einfach mehr essen, Johannes, dann werden dir keine solchen Gedanken mehr kommen. Du bist unterernährt, und die graue Frau und solch ein Zeug gibt es überhaupt nicht!« Als Tante Mariechen das sagte, stand die graue Frau gerade neben ihr.
*
Veronika hatte sich auf die Treppenstufen der Veranda gesetzt und sah in den Garten hinaus. Doch er schien ihr fremder geworden. Gewiß war es ein schöner Garten – aber war er nicht gestern noch anders gewesen?
Veronika war traurig – sie wußte selbst nicht warum.
Es war die Dämmerung, die gekommen war. Der Garten der Geister war versunken, ein Schleier war gefallen zwischen ihn und die kleine Veronika. Aber das Haus der Schatten lebte um sie und sah sie aus hundert dunklen Augen an.
3. Aron Mendels Bürde
Die einsame nordische Landschaft war einst noch viel einsamer, als sie heute ist. Nur selten durchschnitt ein Schienenstrang ihre Moore und Heiden, auf denen Krüppeltannen und kleine Birken kümmerlich wachsen, und keine heulenden Kraftwagen fegten den Staub der endlos langen Landstraßen auf oder störten die feiernde Stille der Waldwege, in deren grünem Gehege die Sonnenflecken spielen. Wie schön war dieses Land, weil es menschenarm war, weil es, noch ferne vom Lärm einer wirr gewordenen Zeit, im Ruf der Tiere und im Atem der Pflanzen den unberührten Traum seines Daseins träumte! Die Stimmen, die hier redeten, waren der Natur verschwistert, die leise rauschenden Baumkronen mit dem glasklaren Himmel darüber sangen ihr immer gleiches Lied, und die einfachen, bunten Blumen des Nordens bestickten den grünen Moosteppich zu einem Wunder der Wildnis. Die Straßen aber, auf denen das menschliche Leben durch diese Wälder und Heiden zog, waren wenig begangen, und man konnte lange wandern, ohne jemandem zu begegnen.
Um jene Zeit war es, daß auf den einsamen Straßen seltsame Gestalten pilgerten, ruhelos, von Hof zu Hof, von einer kleinen Stadt zur anderen. Es waren alte Juden mit einem schweren Bündel auf dem Rücken. Unermüdlich traten ihre emsigen Füße den Staub der Straße, und demütig und ergeben krümmten sich ihre Schultern unter einer viel zu schweren Last. Sie wanderten, wie Ahasver wandert, und der Wind fuhr ihnen durch die ärmliche Kleidung und in ihr graues, flatterndes Haar. Ich sehe sie noch heute vor mir, wie ich sie als Kind gesehen. Noch heute empfinde ich etwas von der seligen Erwartung, wenn sie ihr schweres Bündel vom Rücken nahmen und die Herrlichkeit ihrer Waren zeigten. Es war ein ganzer Kasten, den sie mit sich schleppten, aus Holz gearbeitet, und in einem starken Leinensack mit Traggurten verborgen. Eine Schublade nach der anderen zogen sie empfehlend auf und blendeten die staunenden Augen durch eine Fülle unsagbar verlockender Dinge. Welche Schätze bargen diese wandelnden Kommoden! Kämme und Bürsten mit Verzierungen, Seidenbänder in allen Farben und nie erahnten Tönungen, Taschenmesser in überwältigender Auswahl, bedruckte Tücher mit unwahrscheinlichen Blumenmustern, grasgrüne Bonbons und Schokoladenrollen, die in buntes Glanzpapier gehüllt waren. Nie wieder sah man eine Umhüllung von so geheimnisvoller Leuchtkraft. Nie wieder fühlte man so die Seligkeit des Einkaufs und auch die Beschränktheit des Besitzes – wie mußte man rechnen und überlegen, um sich für ein durchaus begrenztes Taschengeld eine dieser Herrlichkeiten für immer zu sichern! Wie furchtbar schwer wurde hier jede Wahl, und wie wurde sie oft noch bis zur Unlösbarkeit der Probleme verwickelt durch den Redeschwall dieser wandelnden Warenhäuser: Nie wieder wird eine solche Gelegenheit sich bieten, solche Kämme, solche Bürsten sind nur noch dieses Jahr zu haben, nein, nur heute, nachher im ganzen Leben nicht mehr. Man mache sich klar, was das bedeutet! Diese Taschenmesser sind so scharf geschliffen, daß sie ein Haar schneiden, das
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