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Die drei Lichter der kleinen Veronika

Die drei Lichter der kleinen Veronika

Titel: Die drei Lichter der kleinen Veronika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kyber
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den Welten lebe, bin ich oft in die Kirche zu Halmar gegangen, wo ich als junges Mädchen saß. Er waren auch andere dort, die so wie ich sind und die nicht über die Schwelle gehen können. Aber wir haben kein Wunder erlebt. Der, welcher jetzt in der Kirche zu Halmar redet, weiß nicht, was Tod und Leben ist, er kann uns nicht über die Schwelle helfen. Wir sind alle wieder traurig davongegangen, ich in das Haus der Schatten und die anderen in die alten Winkel und Gassen von Halmar, in denen sie irren und warten. Es ist kein Wunder geschehen, Johannes. Es ist dunkel in der Kirche zu Halmar, nicht hell. Wie gerne würden wir wieder hinkommen, wenn es hell würde. Aber wie sollen wir das wissen?«
    »Ihr werdet es schon erfahren, wenn es hell darin wird«, sagte Johannes, »die Toten erfahren vieles und wissen von dem, was die Lebenden noch nicht sehen. Es ist auch wahr, daß in der Kirche zu Halmar kein Wunder mehr ist. Aber ihr müßt Geduld haben, Helga, du und die anderen. Wir alle müssen viel Geduld haben. Ein jeder, der Priester sein will, muß wohl erst selbst ein Wunder in sich erleben, ehe er Gottesdienst halten kann. Warte, bis der Pfarrer von Halmar ein Priester wird. Das Wunder ist noch zu jedem gekommen, der darauf wartete und es rief. Rufe es jede Stunde.«
    Die graue Frau lächelte friedvoll.
    »Ich will es versuchen«, sagte sie.
    In das Dunkel des grünen Zimmers wob sich ein schwacher goldener Schein, und leise schloß Johannes Wanderer die Tür hinter sich zu.
    *
    Beim Abendessen war Veronika still und in sich gekehrt. Der Tag hatte sie müde gemacht, und sie hörte kaum, was ihre Mutter, Tante Mariechen und Onkel Johannes sich erzählten. Die drei waren Geschwister. Tante Mariechen war unverheiratet geblieben, sie war die Älteste und lebte der leiblichen Fürsorge aller, so ausschließlich, daß sie innerlich und äußerlich ein Bild dieser Tätigkeit war. Fast alle nannten sie Tante Mariechen, auch die, deren Tante sie gar nicht war. Als Veronika ihre Milch ausgetrunken hatte, sagte sie unvermittelt, halb zu sich selbst: »Im grünen Zimmer wohnt eine graue Tante.«
    »Was du dir wieder ausgedacht hast, Veronika!« meinte Veronikas Mutter.
    »Die graue Frau gibt es«, sagte Karoline, die gerade die Teller abräumte. Sie sagte es eigentlich nicht, sondern sie schrie es. Karoline schrie alles, was sie sagen wollte.
    »Wie können Sie solchen Unsinn behaupten!« schalt Tante Mariechen, »und noch dazu vor dem Kinde.« »Wenn es sie aber doch gibt!« schrie Karoline und verschwand böse mit dem Geschirr.
    »Du brauchst vor der grauen Frau keine Angst zu haben, Veronika«, meinte Onkel Johannes.
    »Das sagt Magister Mützchen auch, und Angst habe ich keine«, sagte Veronika.
    »Was ist das nun wieder? Wo das Kind bloß die sonderbaren Namen her hat?« meinte Veronikas Mutter. »Veronika, du kannst noch ein wenig auf die Veranda gehen, wenn du fertig bist.«
    »Ja, Mama.«
    »Johannes«, sagte Veronikas Mutter, als das Kind hinausgegangen war, »rede doch Veronika das aus, statt ihr nur zu sagen, daß sie keine Angst haben soll. Sonst denkt sie am Ende, daß die graue Frau wirklich vorhanden ist. Es ist ja nichts weiter als Gerede, weil im grünen Zimmer die traurige Geschichte mit der schönen Helga geschehen ist. Ihr Geliebter tötete einen Nebenbuhler im Duell, und es heißt, daß sie Gift genommen hat. Das sind alte Geschichten, und schon, als wir Kinder waren, hieß es, es gehe im grünen Zimmer um und eine graue Frau wohne darin. Die Kinder hören es von den Dienstboten, aber man soll das nicht dulden.«
    »Liebe Regine«, sagte Johannes ruhig, »man soll einem Kinde nicht die Unwahrheit sagen. Das nützt doch nichts. Es ist besser, du sagst Veronika, daß sie sich nicht zu fürchten braucht.«
    »Glaubst du denn wirklich, daß eine graue Frau da ist?« fragte Tante Mariechen entsetzt.
    »Gewiß«, meinte Johannes, »ich glaube das zu wissen.«
    »Ich weiß, du hast deine eigenen Ansichten über vieles«, sagte Regine, »ich kann dir darin nicht immer folgen. Vielleicht gibt es mehr, als wir annehmen. Aber woher soll es Veronika wissen? Karoline wird es ihr gesagt haben.«
    »Wahrscheinlich hat Veronika die graue Frau gesehen, Regine. Kinder sehen oft mehr als Erwachsene. Man muß das berücksichtigen.«
    »Wir haben doch nichts davon gesehen, als wir Kinder waren«, wandte Regine ein.
    »Oder wir haben es vergessen«, meinte Johannes, »wir haben so vieles vergessen, Regine.«
    »Wir haben uns

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