Die drei Lichter der kleinen Veronika
sie wußte nicht viel von der Welt, und Schloß Irreloh mit seiner plumpen Größe erschien ihr stets als ein lockender Gegensatz zum Frieden von Halmar, das still und ruhevoll, aber immer ein wenig eng und langweilig war. Als Ulla Uhlberg erwachsen war, erbte sie das große Vermögen der Eltern. Erst ging sie auf Reisen, sie war ja reich und jung und hatte Zeit, sich die Welt zu betrachten. Doch sie blieb nicht draußen. Sie kam wieder und kaufte Schloß Irreloh, das lange Jahre verlassen und unbewohnt und ziemlich verfallen war. Ulla Uhlberg hatte nun freilich genug von der Welt gesehen, um zu wissen, daß Irreloh nichts weniger als Pracht und Glanz bedeutete – ach nein, es war wahrhaftig keines der vornehmen Häuser von Florenz, das sie so sehr liebte. Aber sie hatte Kinderträume um Irreloh gesponnen, hatte unsichtbare Fäden um dieses alte Gemäuer gezogen, und ihr war es, als wenn sie gerade hier das Wunder erleben müsse, nach dem sie sich in der Enge der Jugendjahre gesehnt. Sie wollte Macht empfinden und herrschen, aber sie wollte es hier; auf diesem Boden wollte sie groß sein, wo sie so klein gewesen war. Oder vielleicht war es die Heimat, die sie wieder zu sich rief? Es ist so schwer zu sagen, wie viele verschiedene Empfindungen unwägbar in der Seele eines Menschen reden – er weiß es oft selber nicht, er hört nur die eine Stimme in sich und ahnt nicht, daß es viele sind. Man will, aber niemals kann man wirklich deutlich sagen, warum man etwas will. Ein bindendes Heimatgefühl hatte Ulla Uhlberg eigentlich nicht. Sie war keine so reine Nordländerin wie die anderen, die mit ihr in Halmar groß geworden waren. Schon als Schulmädchen fiel sie aus der Reihe heraus mit ihren schwarzen Haaren, den dunklen Augen und der seltsam braunen Tönung der Haut. Nein, sie hatte sich in Florenz heimischer gefühlt, unter dem tiefblauen Himmel und den leuchtenden Farben des Südens, als hier, wo Schnee und Nebelgrau häufiger waren als Sonne und Klarheit. Und doch kam sie wieder in die Heimat und kaufte Irreloh. Es war nicht nur das Schloß der Kinderträume, das sie besitzen wollte, es war wohl darum, weil sie dem nahe sein wollte, was sie hineingeträumt, und das war so vieles. Wir wissen es alle nicht, wo wir eigentlich zu Hause sind, und wie selten gelingt es uns, das verworrene Gewebe unseres Lebens zu entwirren, ehe es der Tod uns aus den Händen nimmt und ein neues Muster daraus gewoben wird am Webstuhl des ewigen Werdens.
Nein, heute war Ulla Uhlberg kein kleines Schulmädchen mehr, sie wußte es gut, was wirkliche Schönheit und Pracht ist, und sie sah es deutlich, wie dunkel und düster Schloß Irreloh war. Aber sie war nicht umsonst so schön und jung und stark, und sie hatte an den alten Mauern von Irreloh so viel gebaut wie einst an den Träumen der Kinderzeit. Und wenn die Brandung von ferne sang, wenn die eichenen Türen knarrten, die schweren Schwellen ächzten oder ihr Schritt in den öden Gängen widerhallte, dann lachte sie jugendsicher und sorglos. Sie war ja Herrin von Irreloh, und sie wollte es umgestalten und ihm die heiße Zauberglut des Südens einhauchen, die in ihrer eigenen Seele lebte, sie wollte dies graue Gemäuer mit roten Rosen umranken und einst darin ihren Kindertraum mit ihren Küssen zum Leben erwecken.
Ach, Ulla Uhlberg, du bist jung und schön und stark. Aber wirst du stark genug sein, die Geister von Irreloh zu bannen? Das Leben ist so anders, als man es sich träumt, wir flechten Blumen und schmieden uns Ketten. In allem, was in uns ist, rufen wir Kräfte, gute und böse, um uns herum. Du hütest ein Feuer in dir, das rot und glutvoll ist. Auch in Irreloh hütet man alte Feuer, die einmal brannten. Aber die Feuer von Irreloh waren falsche Feuer, denke daran, Ulla Uhlberg. Feuer zieht Feuer an, und niemand von uns weiß es, was nur Gleichnis hinter den Dingen bleibt und was zum Geschehen geboren wird an einem Tage des Schicksals aus einem geheimnisvollen Schloß.
*
Ulla Uhlberg saß in einem hohen Lehnstuhl in der Halle von Irreloh. Die Türen zum Garten standen offen, und das goldene Licht des Sommers tanzte auf den schweren, dunklen Renaissancemöbeln, die ein passender Rahmen für Ulla Uhlbergs etwas strenge Schönheit waren. Pastor Harald Haller aus Halmar und seine Frau saßen Ulla gegenüber, sie waren zu Tisch dagewesen und nahmen nun den Kaffee in der Halle ein. Johannes Wanderer war eben erst gekommen, er saß ein wenig abseits von den anderen in einer tiefen
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