Die drei Musketiere
über Porthos einigermaßen enthoben war und vor
Begierde brannte, auch von seinen beiden anderen Freunden Kunde zu bekommen, reichte er Porthos die Hand und versprach ihm, in acht bis zehn Tagen zurückzukommen und ihn dann mit nach Paris zu nehmen. Porthos antwortete, daß er aller Wahrscheinlichkeit nach wohl noch hier sein werde, da die Verstauchung bis dahin schwerlich auskuriert sein werde.
Zudem könne, wenn seine Herzogin, wie er vermute, auf ihren Gütern sei, Geld von ihr unmöglich früher eintreffen.
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Aramis und seine These
D'Artagnan hatte Porthos in dem Glauben gelassen, er wisse nichts von seinem unglücklichen Duell und von der Lüge mit der Herzogin, und sich gestellt, als hielte er seine Prahlereien für bare Münze. Er ließ sich dabei von der Überzeugung leiten, daß man Leuten gegenüber, deren Leben man kennt, immer im
Vorteil ist. Zudem war er des festen Willens, seine drei Kameraden zu Werkzeugen seines Glückes zu machen, und war deshalb nicht ungehalten darüber, daß sich die unsichtbaren Fäden, mittels deren er sie zu lenken gedachte, schon jetzt in seiner Hand zusammenzufinden begannen. Gleichwohl schnürte ihm während des ganzen Rittes tiefe Traurigkeit das Herz zusammen, denn seine Gedanken kehrten immer wieder zu der jungen, hübschen Frau Bonacieux zurück, die ihm den Preis für seine Treue spenden wollte, und die nun vielleicht Gott weiß wie unglücklich war. Daß sie der Rache des Kardinals zum Opfer gefallen war, stand für ihn außer allem Zweifel, und daß Seine Eminenz grausame Rache zu üben gewohnt war, wußte jedes Kind in Frankreich.
In solch trüben Gedanken legte d'Artagnan die Strecke
zwischen Chantilly und Crevecceur zurück. Erst der Anblick der Schenke, in der er Aramis zurückgelassen hatte, riß ihn aus seiner Versunkenheit. Aber nicht ein Wirt war es, der ihn diesmal begrüßte, sondern eine Wirtin. D'Artagnan verstand sich darauf, die Menschen nach ihren Gesichtszügen zu beurteilen, und war sich sofort klar darüber, daß er von dem feisten, gutmütigen Gesicht, das diese Frau zeigte, keinen Verdruß oder Ärger zu gewärtigen hatte.
»Meine gute Frau«, fragte d'Artagnan, »könnten Sie mir wohl sagen, was aus einem meiner Freunde geworden, den wir vor knapp vierzehn Tagen hier zurücklassen mußten?« – »Einem schmucken, jungen Mann von dreiundzwanzig bis
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vierundzwanzig Jahren, nicht wahr?« – »Er war an der Schulter verwundet.« – »Richtig! Oh, der ist noch da!« – »Wirklich, gute Frau?« rief d'Artagnan, aus dem Sattel springend, und warf Planchet die Zügel zu. »Oh, Sie schenken mir das Leben wieder!
Wo ist er, mein lieber Aramis? Sagen Sie es mir! Es drängt mich, ihn in die Arme zu schließen.« – »Das tut mir leid, Herr, denn daß Sie ihn gerade jetzt werden sehen können, bezweifle ich.« – »Warum nicht? Ist etwa eine Frau bei ihm?« – »Du lieber Gott, was reden Sie da? Nein, der arme Mensch kümmert sich nicht um Weiber.« – »Und um wen sonst?« – »Der Pfarrer von Montdidier und der Superior des Jesuitenklosters sind eben bei ihm.« – »Gerechter Himmel! Steht es so schlimm mit ihm?«
– »Im Gegenteil, Herr, es steht recht gut mit ihm, und um dem Himmel für seine Genesung würdig zu danken, hat er sich entschlossen, ins Kloster zu gehen.« – »Ach richtig!« rief d'Artagnan, »ich hatte fast vergessen, daß er bloß vorübergehend Musketier ist.« – »Der Herr wünscht aber, ihn zu sehen?« –
»Mehr denn je!« – »Nun, dann braucht der Herr nur im Hof die Treppe rechts zum zweiten Stock hinaufzugehen und an die Tür von Nummer fünf zu pochen.«
Doch d'Artagnan kam nicht so leicht zu dem künftigen Abbé, denn die Zugänge zu ihm waren scharf bewacht. Page Bazin, dessen sehnlicher Wunsch seit langem war, Famulus eines geistlichen Herrn zu sein, hütete als grimmer Zerberus die Pforte im Hof. Hätte ihm Aramis nicht schon immer die tröstliche Versicherung gegeben, daß er bald die kriegerische Uniform gegen die fromme Soutane vertauschen werde, so hätte er sich wohl schon nach einer seinen Anschauungen besser
entsprechenden Tätigkeit umgesehen. Jetzt aber schwamm Bazin in einem Meer der Freude, denn diesmal hatte Aramis allem Anschein nach keine Lust mehr, noch einmal in die weltliche Laufbahn zurückzukehren. Daß Bazin in solcher Lage sich über das plötzliche Wiederauftauchen d'Artagnans nicht freute, leuchtet ein, und daß er die Hauspforte mutig verteidigte,
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nicht
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