Die drei Musketiere
»mir geht jetzt alles quer! Ich schrieb an sie um fünfzig Pistolen...« – »Nun?« – »Und habe bis heute noch keine
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Antwort. Ich kann mir nichts anderes denken, als daß sie auf ihre Güter gefahren sein muß.« – »Wirklich?« – »Ich habe ihr gestern noch einmal geschrieben, dringlicher als das erste Mal, aber, mein Lieber, reden wir doch auch einmal von Ihnen! Ich muß sagen, daß ich mir über Sie schon allerhand Gedanken gemacht habe.«
»Aber über Ihren Wirt scheinen Sie sich nicht eben beklagen zu müssen, lieber Porthos«, sagte d'Artagnan, indem er auf die vollen Pfannen und leeren Flaschen zeigte. – »Pst! Pst!«
antwortete Porthos; »der unverschämte Kerl hat mir erst vorgestern eine Rechnung heraufgeschickt; aber ich habe Boten und Rechnung zusammen die Treppe hinuntergeworfen. Jetzt bin ich hier in der Rolle halb als Sieger, halb als Belagerter, und, da man in solcher Lage immer eines Angriffs gewärtig sein muß, auch bewaffnet bis an die Zähne.« – »An einem Ausfall«, erwiderte d'Artagnan lächelnd, zum andern Mal auf die Flaschen und Pfannen zeigend, »scheinen Sie es freilich von Zeit zu Zeit nicht fehlen zu lassen.« – »Ich nicht, ich leider nicht!« rief Porthos, »mich fesselt die vermaledeite Verstauchung ans Bett, aber Mousqueton führt die Schlachten und schafft die
Lebensmittel herbei. Freund Mousqueton«, wandte Porthos sich an den Pagen, »du siehst, wir bekommen Verstärkung, werden also Zuwachs an Fourage brauchen.«
»Mousqueton«, wandte d'Artagnan sich an den Pagen, »du mußt mir einen Gefallen tun.« – »Was befiehlt der Herr?« fragte Mousqueton. – »Gib Planchet dein Rezept! Mir könnte es auch mal so gehen, daß ich belagert werde. Wenn er nun verstünde, soviel Benefizien herauszuschinden wie du für deinen Herrn, so wäre ich dann sicher nicht böse.« – »Du liebe Zeit, gnädiger Herr«, versetzte Mousqueton mit der bescheidensten Miene von der Welt, »es gibt doch nichts Einfacheres und Leichteres. Ein bißchen Geschick, das ist alles. Ich bin auf dem Lande aufgewachsen, und mein Vater war in seiner freien Zeit dem Wildern nicht abhold. Und wie man eine Schlinge dreht und
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eine Angel legt, das hat er mir gezeigt. Als es mir nun ein bißchen zu arg wurde, wie sich der Wirt meinem Herrn
gegenüber benahm, der uns täglich nur hartes Fleisch vorsetzte, wie es kaum ein Bauernmagen verträgt, da bin ich in den Wald gegangen und habe Schlingen gelegt, habe mich an den Bach gesetzt und geangelt. Seitdem fehlt es uns, Gott sei Dank, an nichts, was für eine bessere Kost gelten kann.« – »Und wer liefert den Wein?« fragte d'Artagnan; »doch der Wirt?« – »Ja und nein! Freilich ist er der Lieferant, doch ohne es zu wissen.
Auf meinen Irrfahrten, Herr, hat mich nämlich der Zufall einmal, mit einem Spanier zusammengeführt, der auch in der Neuen Welt gewesen war.« – »Wie kann das mit den
Weinflaschen zusammenhänge n, die ich auf Schrank und
Kommode sehe?« – »Geduld, Herr, Geduld! Alles zu seiner Zeit. Der Spanier hatte einen Pagen, und das war ein Landsmann von mir. Der war mit ihm in Mexiko, und dort traf ich ihn. Wir hatten mancherlei Liebhaberei gemein, unter and erm die Jagd.
Da weihte er mich ein in die Jagd mit dem Lasso, indem er Flaschen im Abstand von dreißig Schritt auf die Erde stellte. Ich war bald so weit im Lassowerfen, daß ich jedesmal die Flasche aus der Mitte herausholte. Verstehen Sie nun? Unser gestrenger Wirt hat einen trefflich versorgten Keller, läßt aber den Schlüssel niemals liegen. Da aber sein Keller ein Luftloch hat, und durch dieses Luftloch sich ein Lasso werfen läßt und Mousqueton weiß, wo der beste Tropfen lagert, so braucht's wohl nicht weiterer Worte, um Ihnen die Herkunft unseres Flaschenbestandes begreiflich zu machen? Darf ich Ihnen eine Probe zum Kosten anbieten?«
»Nun, Mousqueton«, rief Porthos, »bring den Tisch her und laß uns frühstücken! Unterdes wird uns d'Artagnan erzählen, was ihm in den zehn Tagen passiert ist, die er fern von uns verlebt hat.« – »Von Herzen gern«, antwortete d'Artagnan.
Das war bald geschehen. Als er zu den vier Pferden gelangte, die er vom Herzog von Buckingham als Präsent für sich und
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seine Kameraden bekommen und aus England nach Frankreich gebracht hatte, meldete Planchet seinem Herrn, daß die Pferde wieder frisch seien, sie bis gegen Abend noch Clermont erreichen und dort übernachten könnten. Da d'Artagnan seiner Sorgen
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