Die drei Musketiere
Minuten später war sie zu Hause. Sie hatte ihren Mann, seit er in Freiheit gesetzt worden war, nicht wiedergesehen und wußte nichts von der Veränderung, die sich dem Kardinal gegenüber in seinem Herzen vollzogen hatte, seit er sich einbildete, dessen guter Freund geworden zu sein.
Der ehrsame Krämer hatte alsbald nach seiner Heimkehr
seiner Frau geschrieben, daß er glücklich wieder aus der Bastille heraus sei, und die Frau hatte ihm dazu gratuliert und ihm versprochen, den ersten freien Augenblick, den sie fände, ihm zu schenken. Aber dieser erste Augenblick hatte nun schon fünf Tage auf sich warten lassen, und in jeder andern Lage würde das dem braven Bonacieux sehr lang vorgekommen sein; aber er hatte bei dem Besuch, den er bei dem Kardinal, und bei den wiederholten Besuchen, die ihm Graf Rochefort in dessen Auftrag gemacht hatte, überreichen Stoff zu Betrachtungen gefunden, und nichts verkürzt die Zeit so sehr wie ein bißchen Sinnieren. Seine Zukunft schien sich ja aufs denkbar beste zu wenden: ein Mann, der, wie er, einem Grafen »der liebe Bonacieux« war und nun schon so oft gehört hatte, daß »der große Kardinal« große Stücke auf ihn halte, mußte sich ja auf dem Pfad des Glücks und der Ehre wandeln sehen!
Seine kleine Frau dachte auch nach, jedoch über ganz andere als ehrgeizige Dinge. Ihre Gedanken drehten sich wie ein Perpetuum mobile um jenen schönen und tapfern jungen Mann, der in so heißer Liebe zu ihr entbrannt war. Sie hatte sich in ihrem achtzehnten Jahr mit Bonacieux verheiratet, hatte die ganze Zeit immer nur in dem spießbürgerlichen Bekanntenkreis ihres Mannes gelebt und darin für ihren muntern, lebensfrohen Geist herzlich wenig Anregung gefunden. Kein Wunder, daß ein junger Edelmann wie d'Artagnan, zumal zu jener Zeit der Adel in so ungeheurem Ansehen im ganzen Lande stand, eine Art faszinierenden Eindruck auf sie übte. Obendrein trug er die
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schmucke Gardeuniform, die bei der Damenwelt nächst der Musketieruniform im größten Ansehen stand. Jung und hübsch und unternehmend war er auch, schwatzte von Liebe wie
jemand, der verliebt und liebesdurstig ist, und hatte somit alle Eigenschaften an sich und in sich, die einem Frauchen von fünfundzwanzig Jahren – und dieses Alter hatte Frau Bonacieux gerade erreicht – den Kopf verdrehen konnten.
Die beiden Ehegatten trafen sich also, obgleich sie einander acht Tage lang nicht gesehen und in dieser Zeit große Dinge sich zwischen ihnen abgespielt hatten, nicht völlig frei von Voreingenommenheit. Herr Bonacieux legte nichtsdestoweniger aufrichtige Freude an den Tag und eilte seinem kleinen Frauchen mit offenen Armen entgegen. Sie reichte ihm die Stirn zum Kuß. Dann sagte sie: »Na, Männchen, ich denke, wir plaudern ein bißchen miteinander.« – »Wie?« fragte Bonacieux verwundert. – »Nun ja doch«, antwortete sie; »ich habe gerade über etwas recht Wichtige s mit dir zu reden.« – »Nun, ein paar ernste Fragen habe ich auch an dich zu richten. Erkläre mir doch, wie das mit deiner Entführung zusammenhängt.« – »Ach, darum dreht es sich im Augenblick nicht«, erwiderte die Frau. –
»Und um was sonst? Um meine Haft etwa?« – »Ich habe davon gleich am ersten Tag gehört, der Sache aber keine große Bedeutung beigelegt, da du dich ja keines Vergehens schuldig gemacht, an keiner Intrige beteiligt hast und nichts wußtest, was dich oder andere hätte in Gefahr bringen können.« – »Du redest, wie es dir paßt, Frau!« erwiderte Bonacieux, durch das matte Interesse, das ihm seine Frau erwies, bitter gekränkt. »Weißt du, daß ich einen Tag und eine Nacht in einem Verlies der Bastille geschmachtet habe?« – »Ein Tag und eine Nacht sind schnell vorüber; befassen wir uns also nicht weiter mit deiner Bastille, sondern mit der Angelegenheit, die mich zu dir führt.«
»So – und was führt dich denn zu mir?« fragte der Krämer, lebhaft gereizt. »Doch wohl der Wunsch, deinen Mann
wiederzusehen, von dem du seit acht Tagen getrennt gewesen?«
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– »Das zuerst, und nachher etwas anderes.« – »Na, so rede doch!« – »Eine Sache von höherem Interesse, von der vielleicht unser künftiges Glück abhängt.« – »Seit ich dich nicht gesehen habe, Frau, hat sich unser künftiges Glück sehr stark verändert.
Es sollte mich nicht weiter verwundern, wenn uns in ein paar Monaten gar viele Leute beneideten.« – »Ja, das kann vor allem sein, wenn du den Instruktionen folgst, die ich
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