Die drei Musketiere 2
Hand, hieß ihn den Herzog ermorden, und in diesem Augenblick bezahlt Feiton vielleicht mit seinem Kopf das Verbrechen dieser Furie.«
Ein Schauer durchlief die Richter bei der Enthüllung dieses noch unbekannten Verbrechens.
»Das ist noch nicht alles«, setzte Lord Winter fort. »Mein Bruder, der Euch zu seiner Erbin eingesetzt hatte, ist in drei Stunden an einer seltsamen Krankheit gestorben, die auf dem ganzen Körper schwarzblaue Flecken zurückließ. Meine Schwester, wie ist Euer Gatte gestorben?«
»Entsetzlich!« riefen Porthos und Aramis.
»Mörderin Buckinghams! Mörderin Feitons! Mörderin meines Bruders! Ich verlange Gerechtigkeit, und wenn sie mir nicht gegeben wird, so werde ich sie mir selbst nehmen!«
Lord Winter stellte sich neben d’Artagnan und ließ den Platz für einen andern Ankläger frei.
Myladys Stirn sank in ihre Hände, sie suchte ihre durch tödlichen Schwindel verwirrten Gedanken zu sammeln.
»Nun ist es an mir«, sagte Athos, selbst zitternd, wie ein Löwe beim Anblick einer Schlange zittert, »nun ist es an mir.
Ich heiratete diese Frau, als sie noch ein junges Mädchen war, ich heiratete sie wider Willen meiner Familie, ich übergab ihr 274
mein Vermögen, ich gab ihr meine Hand, und eines Tages bemerkte ich, daß diese Frau gebrandmarkt war. Sie trug das Brandmal einer Lilie auf der linken Schulter.«
»Oh!« rief Mylady, sich erhebend, »ich fordere Euch auf, das Tribunal, das diesen schändlichen Spruch über mich verhängt hat, aufzufinden. Ich fordere Euch auf, den zu finden, der ihn vollstreckte.«
»Still«, ließ sich eine Stimme vernehmen, »dies zu
beantworten kommt mir zu!«
Und der Rotmantel trat ebenfalls näher.
»Wer ist dieser Mann? Wer ist dieser Mann?« rief, vom Schrecken niedergeschmettert, Mylady, deren Haare sich lösten und sich wie Schlangen um ihr Haupt ringelten.
Aller Augen wandten sich nach dem Mann, denn außer Athos war er allen unbekannt. Doch auch Athos schaute ihn verwundert an, er wußte nicht, in welchem Zusammenhang er mit dem furchtbaren Drama stand, das sich in diesem Augenblick entwickelte. Nachdem der Unbekannte sich langsam und feierlich Mylady genähert hatte, so daß ihn nur noch der Tisch von ihr trennte, nahm er seine Maske ab. Mylady schaute einige Zeit mit allen Zeichen wachsenden Schreckens das bleiche, von schwarzen Haaren und schwarzem Bart umrahmte Gesicht an, dessen einziger Ausdruck eine eisige
Unempfindlichkeit war. Dann rief sie plötzlich, aufstehend und bis an die Wand zurückweichend:
»Oh! Nein, nein, nein! Das ist eine höllische Erscheinung! Er ist es nicht! Zu Hilfe, zu Hilfe!« schrie sie mit rauher Stimme und wandte sich nach der Wand um, als ob sie sich mit ihren Händen einen Durchgang öffnen könnte.
»Aber wer seid Ihr denn?« riefen alle Zeugen dieser Szene. –
»Fragt diese Frau«, antwortete der Rotmantel, »denn Ihr seht wohl, daß sie mich wiedererkannt hat.«
»Der Henker von Lilie! Der Henker von Lilie!« rief Mylady, 275
von wahnsinnigem Schrecken erfaßt und sich mit den Händen an die Wand klammernd, um nicht zu fallen.
Alle Anwesenden wichen zurück und der Rotmantel stand allein mitten in der Stube.
»Oh! Gnade! Barmherzigkeit!« rief die Elende, auf die Knie stürzend.
Der Unbekannte wartete, bis es wieder still geworden war, und fuhr dann fort:
»Sie hat mich wiedererkannt. Ja, ich bin der Henker der Stadt Lilie. Hört meine Geschichte!«
Aller Augen waren auf den Mann geheftet, dessen Worte man mit ängstlicher Neugier lauschte.
»Diese Frau war einst ein junges Mädchen, so schön, wie sie heute ist. Sie war eine Nonne im Kloster der Benediktinerinnen von Templemar. Ein junger Priester mit schlichtem, gläubigem Herzen versah den Gottesdienst in der Kirche dieses Klosters.
Sie versuchte, ihn zu verführen, und es gelang ihr; ihre Liebschaft konnte nicht lange dauern, ohne beide ins Verderben zu stürzen. Sie bewog ihn, mit ihr die Gegend zu verlassen.
Aber um nach einem andern Teil Frankreichs zu entfliehen, wo sie unbekannt leben konnten, brauchte man Geld, und keiner von beiden besaß etwas. Da stahl der Priester die heiligen Gefäße und verkaufte sie, aber als sie eben entweichen wollten, wurden beide verhaftet. Acht Tage später hatte sie den Sohn des Kerkermeisters verführt und war geflüchtet. Der junge Priester wurde zu zehn Jahren Kettenstrafe und zur Brandmarkung verurteilt. Ich war der Henker der Stadt Lilie, wie diese Frau sagte. Ich mußte den Schuldigen
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