Die drei Musketiere 2
brandmarken, und der Schuldige, Messieurs, war mein Bruder.
Ich schwor, daß diese Frau, die ihn zugrunde gerichtet hatte und mehr als seine Mitschuldige war, weil sie ihn zum Verbrechen antrieb, seine Strafe teilen sollte. Ich vermutete, wo sie verborgen war, verfolgte, erreichte, knebelte sie, und drückte 276
ihr dasselbe Mal auf, das mein Bruder trug. Nach meiner Rückkehr nach Lilie gelang es meinem Bruder, ebenfalls zu entweichen. Man klagte mich der Mitschuld an und verurteilte mich, so lange im Gefängnis zu bleiben, bis er sich wieder gestellt hätte. Mein armer Bruder wußte von diesem Urteil nichts, er war mit der früheren Nonne wieder
zusammengetroffen und mit ihr nach Berry gezogen, wo er eine kleine Pfarre erhielt. Sie galt für seine Schwester. Der Herr des Gutes, auf dem die Kirche des Pfarrers lag, sah die angebliche Schwester und verliebte sich in sie, so daß er ihr die Ehe antrug.
Da verließ sie den, den sie ins Verderben gestürzt hatte, um dem Mann zu folgen, den sie ins Verderben stürzen sollte, und wurde die Comtesse de la Fère.« Aller Augen wandten sich gegen Athos, der mit einem Zeichen seines Kopfes bestätigte, daß alles, was der Henker gesagt hatte, der Wahrheit entsprach.
Dieser fuhr fort: »In Verzweiflung und entschlossen, sich seines Daseins zu entledigen, dem sie Ehre, Glück, alles geraubt hatte, kam mein Bruder nun nach Lilie zurück, und als er von dem Spruch hörte, der mich statt seiner verurteilt hatte, begab er sich freiwillig in Haft und erhängte sich an demselben Abend am Luftloch seines Kerkers. Mich gab man frei. Dies ist das Verbrechen, dessen ich sie anklage, dies die Ursache, warum ich sie gebrandmarkt habe.«
»Monsieur d’Artagnan«, sagte Athos, »welche Strafe verlangt Ihr für diese Frau?«
»Die Todesstrafe!« antwortete d’Artagnan.
»Lord Winter«, fuhr Athos fort, »welche Strafe verlangt Ihr für diese Frau?«
»Die Todesstrafe!« antwortete Lord Winter.
»Monsieur Porthos und Monsieur Aramis«, sagte Athos, »Ihr, die Ihr die Richter seid, welche Strafe verhängt Ihr über diese Frau?«
»Die Todesstrafe!« antworteten mit dumpfer Stimme die beiden Musketiere.
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Mylady stieß einen furchtbaren Schrei aus und schleppte sich auf den Knien ihren Richtern entgegen. Athos streckte die Hand gegen sie aus.
»Charlotte Backson, Comtesse de la Fère, Lady Winter«, sagte er, »Eurer Verbrechen sind die Menschen auf Erden und Gott im Himmel müde. Wenn Ihr ein Gebet wißt, so sprecht es.
Bei diesen Worten, die ihr keine Hoffnung mehr übrig ließen, richtete sich Mylady in ihrer ganzen Größe auf und wollte reden.
Aber es fehlten ihr die Worte. Sie fühlte, daß eine mächtige, unwiderstehliche, unversöhnliche Hand sie faßte und unwiderruflich fortzog, wie das Verhängnis den Menschen fortreißt. Sie versuchte nicht einmal Widerstand zu leisten und verließ die Hütte.
*
Es war um die Mitternachtsstunde. Zuweilen öffnete ein mächtiger Blitz den Horizont in seiner ganzen Breite, schlängelte sich über die schwarze Masse der Bäume hin und trennte, wie ein furchtbarer Säbel, Himmel und Wasser in zwei Teile. Nicht der leiseste Wind bewegte die Atmosphäre.
Totenstille lastete auf der ganzen Natur, der Boden war feucht und schlüpfrig von dem gefallenen Regen, und den
wiederbelebten Gräsern und Kräutern entströmten ihre Wohlgerüche mit neuer Kraft.
Zwei Bediente schleppten Mylady. Der Henker ging hinter ihr. Lord Winter, d’Artagnan, Athos, Porthos und Aramis gingen hinter dem Henker. Planchet und Bazin kamen zuletzt.
Die Diener führten sie nach dem Fluß.
Als sie sah, daß die andern einige Schritte zurückgeblieben waren, sagte sie zu den Bedienten: »Tausend Pistolen für jeden von euch, wenn ihr meine Flucht begünstigt, wenn ihr mich aber euren Herren ausliefert, so habe ich hier in meiner Nähe Rächer, 278
die euch meinen Tod teuer bezahlen lassen.«
Grimaud zögerte, Mousqueton zitterte an allen Gliedern.
Athos, der Myladys Stimme gehört hatte, näherte sich rasch, ebenso Lord Winter.
»Schickt diese weg«, sagte er, »sie hat mit ihnen gesprochen, sie sind nicht mehr sicher.«
Planchet und Bazin traten an ihre Stelle.
Am Rand des Wassers angelangt, trat der Henker zu Mylady und band ihr Hände und Füße. Da brach sie das Schweigen und rief: »Ihr seid feige, elende Mörder, ihr erhebt euch zu zehnt, um eine Frau umzubringen. Nehmt euch in acht, wenn man mir auch keine Hilfe bringt, so wird man mich doch
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