Die drei Musketiere 2
und traurig wie ein Grab. Athos klopfte dreimal vergebens. Beim vierten Schlag näherten sich im Innern Schritte, die Tür öffnete sich halb, und ein Mann von hohem Wuchs, bleicher Gesichtsfarbe, 266
schwarzen Haaren und schwarzem Bart erschien.
Athos und er wechselten einige Worte mit leiser Stimme, dann machte der Mann dem Musketier ein bejahendes Zeichen.
Athos trat ein, und die Tür schloß sich hinter ihm. Der Mann, den Athos mit solcher Mühe aufgesucht hatte, ließ ihn in ein Laboratorium treten, wo er eben daran arbeitete, die klappernden Knochen eines Skeletts mit Eisendraht aneinander zu befestigen. Der ganze Körper war bereits zusammengefügt, nur der Kopf lag noch auf dem Tisch. Alles übrige deutete an, daß der Mann sich mit den Naturwissenschaften beschäftigte.
Man sah gläserne Gefäße voll Schlangen, getrocknete Eidechsen, glänzend wie Smaragde, in großen Holzrahmen, Bündel von wildwachsenden, wohlriechenden Kräutern hingen an der Decke und lagen in den Ecken der Stube. Von Familie oder Gesinde war nichts zu bemerken, der Mann bewohnte das Haus ganz allein.
Athos warf einen gleichgültigen Blick auf all die Gegenstände und setzte sich auf die Einladung des Mannes nieder. Er erklärte ihm die Ursache seines Erscheinens und den Dienst, den er von ihm forderte. Aber kaum hatte er ihm sein Verlangen auseinandergesetzt, als der Unbekannte, der vor dem Musketier stehen geblieben war, voll Schrecken zurückwich. Athos zog aus seiner Tasche ein kleines Papier, auf das zwei durch Unterschrift und Siegel beglaubigte Zeilen geschrieben waren, und hielt es dem bleichen Mann hin. Kaum hatte dieser die zwei Zeilen gelesen, die Unterschrift gesehen und das Siegel erkannt, als er sich verbeugte, zum Beweis, daß er keine Einwendung mehr zu machen habe und bereit sei, zu gehorchen.
Athos verlangte nicht mehr, stand auf, verließ das Haus, ging auf demselben Weg, auf dem er gekommen war, in das Gasthaus zurück und schloß sich in seinem Zimmer ein. Mit
Tagesanbruch trat d’Artagnan bei ihm ein und fragte, was zu tun sei.
»Warten«, antwortete Athos.
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Einige Augenblicke später ließ die Äbtissin des Klosters die Musketiere benachrichtigen, daß die Beerdigung um die Mittagsstunde stattfinden soll. Zur bezeichneten Stunde begaben sich Lord Winter und die vier Freunde in das Kloster, alle Glocken wurden geläutet, die Kapelle war geöffnet, nur das Gitter des Chors war geschlossen. Mitten im Chor war der Leichnam in Novizenkleidern aufgebahrt. Auf jeder Seite des Chors und hinter dem Gitter war die ganze Gemeinde der Karmeliterinnen versammelt, die von hier aus dem Gottesdienst beiwohnten und mit ihrem Gesang den des Priesters begleitete, ohne die Laien zu sehen oder von ihnen gesehen zu werden. An der Tür der Kapelle fühlte d’Artagnan, daß ihn wieder der Mut verließ. Er wandte sich, um Athos zu suchen, aber dieser war verschwunden.
Seiner Rachesendung getreu, hatte sich Athos in den Garten führen lassen, folgte auf dem Sand den leichten Schritten der Frau, gelangte zur Tür, öffnete diese und trat in den Wald. Alle seine Zweifel waren nun beseitigt. Der Weg, auf dem der Wagen verschwunden war, lief um den Wald. Befriedigt durch diese Entdeckung, die seine Vermutungen bestätigte, kehrte Athos in das Gasthaus zurück, wo er Planchet fand, der ungeduldig seiner harrte.
Planchet hatte seinen Weg verfolgt, aber er war weiter gegangen als Athos und hatte im Dorf Festubert im Wirtshaus, ohne viel fragen zu müssen, erfahren, daß um halb neun Uhr am Abend vorher ein verwundeter Mann, der eine in einer Postkutsche reisende Dame begleitete, habe einkehren müssen, weil ihm seine Schmerzen das Weiterreisen nicht gestatteten.
Räuber, hieß es, hätten den Wagen im Wald angehalten und nach dem Mann geschossen. Dieser war im Dorf
zurückgeblieben, die Frau hatte frische Pferde genommen und ihre Reise fortgesetzt. Planchet suchte den Postillon auf. Er hatte die Dame bis Fromelles gefahren, und von Fromelles war sie nach Armentieres gereist. Planchet schlug einen Seitenweg ein 268
und erreichte Armentieres um acht Uhr morgens. Hier gab es nur ein Wirtshaus, das »Zur Post«. Planchet gab sich für einen Lakaien ohne Stelle aus, der einen Herrn suche. Nach zehn Minuten hatte er von den Leuten im Haus erfahren, daß um elf Uhr abends eine Frau ganz allein angekommen sei, ein Zimmer genommen, den Wirt gerufen und diesem gesagt habe, sie wünsche einige Zeit in der Gegend zu bleiben. Mehr
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