Die drei Musketiere 2
Fähre entfernt. Ein Fenster war erhellt.
»Wir sind an Ort und Stelle«, sagte Athos.
In diesem Augenblick erhob sich aus einem Graben ein dort 271
liegender Mann, es war Mousqueton. Er deutete mit dem Finger nach dem erleuchteten Fenster und sagte: »Sie ist hier.«
»Und Bazin?« – »Während ich das Fenster bewache, bewacht er die Tür.«
»Gut«, sagte Athos, »ihr seid alle getreue Diener.«
Athos sprang vom Pferd, dessen Zügel er Grimaud überließ, und ging auf das Fenster zu, nachdem er den andern durch ein Zeichen angedeutet hatte, sie möchten sich nach der Tür wenden. Das kleine Haus war von einer zwei bis drei Fuß hohen Hecke umgeben. Athos sprang über die Hecke und gelangte bis zu dem Fenster, das keine Läden hatte, dessen Vorhänge aber sorgfältig zugezogen waren. Er stieg auf einen steinernen Vorsprung, so daß sein Auge über die Vorhänge reichte, und sah beim Schimmer einer Lampe, in einen dunkelfarbigen Mantel gehüllt, eine Frau auf einem Schemel sitzen. Sie stützte ihre Ellenbogen auf einen schlechten Tisch und hatte ihren Kopf in ihre elfenbeinweißen Hände gelegt. Man konnte ihr Gesicht nicht unterscheiden, aber ein finsteres Lächeln zog über Athos’
Lippen. Es war keine Täuschung möglich. Er sah die, die er suchte. In diesem Augenblick wieherte ein Pferd. Mylady schaute empor, erblickte vor dem Fenster Athos’ bleiches Antlitz und stieß einen Schrei aus.
Athos sah, daß sie ihn erkannt hatte, stieß mit dem Knie und der Hand an das Fenster, dieses gab nach, die Scheiben zerbrachen, und Athos sprang, dem Geist der Rache ähnlich, in das Zimmer. Mylady lief nach der Tür und öffnete sie. Noch bleicher, noch drohender als Athos stand d’Artagnan auf der Schwelle. Sie wich aufschreiend zurück. D’Artagnan glaubte, sie könne entfliehen, und zog eine Pistole aus seinem Gürtel.
Aber Athos hob die Hand und sagte:
»Steck die Waffe wieder an ihren Ort, d’Artagnan. Diese Frau soll gerichtet und nicht ermordet werden. Warte noch einen Augenblick und du sollst befriedigt sein. Tretet ein, Messieurs!«
D’Artagnan gehorchte, denn Athos hatte die feierliche 272
Stimme und die mächtige Gebärde eines vom Herrn des Himmels gesandten Richters. Hinter d’Artagnan traten Porthos, Aramis, Lord Winter und der Rotmantel ein. Die vier Diener bewachten die Tür und das Fenster. Mylady war auf ihren Sitz zurückgesunken und streckte die Hände aus, als wollte sie diese furchtbare Erscheinung bannen. Als sie ihren Schwager erblickte, stieß sie einen gräßlichen Schrei aus.
»Was wollt Ihr?« rief sie.
»Wir suchen Charlotte Backson, die sich Comtesse de la Fère und später Lady Winter, Baroness von Sheffield, genannt hat.«
»Ich bin es«, murmelte sie in höchster Bestürzung. »Was wollt Ihr von mir?«
»Wir wollen Euch richten nach Euren Verbrechen. Es steht Euch frei, Euch zu verteidigen. Rechtfertigt Euch, wenn Ihr könnt. Monsieur d’Artagnan, Euch kommt die erste Anklage zu.«
D’Artagnan schritt vor und sagte: »Vor Gott und den Menschen klage ich diese Frau an, Constance Bonacieux, die gestern abend verschieden ist, vergiftet zu haben.«
»Wir bezeugen es«, sagten einstimmig Porthos und Aramis.
D’Artagnan fuhr fort:
»Vor Gott und den Menschen beschuldige ich diese Frau der Absicht, mich selbst zu vergiften; es wurde mir zu diesem Zweck von Villeroi aus Wein gesandt, mit einem gefälschten Brief, durch den sie mich glauben machen wollte, der Wein käme von meinen Freunden. Gott hat mich gerettet, aber an meiner statt ist ein Mann namens Brisemont daran gestorben.«
»Wir bezeugen es«, erklärten Porthos und Aramis.
»Vor Gott und den Menschen«, sprach d’Artagnan weiter,
»klage ich diese Frau an, mich zur Ermordung des Comte de Wardes angestiftet zu haben, und da niemand hier ist, um die Wahrheit dieser Beschuldigung zu bezeugen, so bezeuge ich sie.«
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Nach diesen Worten trat d’Artagnan mit Porthos und Aramis auf die andere Seite des Zimmers.
»Jetzt ist es an Euch Mylord«, sagte Athos.
Lord Winter trat ebenfalls vor und sagte: »Vor Gott und den Menschen klage ich diese Frau an, daß sie den Herzog von Buckingham ermorden ließ.«
»Der Herzog von Buckingham ermordet!« riefen alle
Anwesenden wie aus einem Mund.
»Ja«, erwiderte Lord Winter, »ermordet! Auf Euer warnendes Schreiben hin ließ ich diese Frau verhaften und übergab sie einem redlichen Diener zur Bewachung. Sie verführte diesen Menschen, drückte ihm den Dolch in die
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