Die drei Musketiere 2
aber ich bilde mir ein, diese Frau, so unbekannt sie mir ist, übe einen Einfluß auf mein Leben aus.«
»Im Grunde habt Ihr recht«, sagte Athos, »ich kenne nicht eine Frau, die der Mühe wert wäre, daß man sie suche, wenn sie verloren ist. Madame Bonacieux ist verloren, umso schlimmer für sie, mag sie zusehen, wie sie wiedergefunden wird.«
»Nein, Athos, nein, Ihr täuscht Euch«, sagte d’Artagnan, »ich liebe meine arme Constance mehr als je, und wenn ich wüßte, wo sie ist, würde ich aufbrechen und – wäre es am Ende der Welt – sie den Händen ihrer Feinde entreißen.« – »Zerstreut Euch also mit Mylady, mein lieber d’Artagnan, ich wünsche es Euch von ganzem Herzen, wenn Euch dies unterhalten kann.«
»Hört, Athos«, sagte d’Artagnan, »anstatt Euch da so 11
einzusperren, reitet lieber mit mir nach Saint-Germain.« –
»Mein Lieber«, antwortete Athos, »ich reite nur auf eigenen Pferden, wenn ich welche habe, wenn nicht, dann gehe ich zu Fuß.« – »Nun«, erwiderte d’Artagnan, indem er über die Unfreundlichkeit lächelte, die ihn bei jedem andern als bei Athos sicherlich verletzt hätte, »ich bin weniger stolz als Ihr und besteige jedes Pferd. Also auf Wiedersehen, mein lieber Athos.«
»Auf Wiedersehen«, sagte der Musketier, indem er Grimaud ein Zeichen gab, die Flasche zu entkorken, die er eben gebracht hatte.
D’Artagnan und Planchet sprangen in den Sattel und schlugen die Straße nach Saint-Germain ein.
Er schaute, durch eine ziemlich öde Straße reitend, rechts und links, ob er nicht irgendeine Spur von seiner schönen Engländerin finden könnte, als er im Erdgeschoß eines hübschen Hauses ein bekanntes Gesicht erblickte. Planchet erkannte den Träger dieses Gesichts, der auf einer mit Blumen geschmückten Terrasse spazierenging.
»Ei, Monsieur«, sagte er, sich an d’Artagnan wendend,
»erinnert Ihr Euch dieses Gesichts nicht mehr, das dort Maulaffen feil hält?«
»Nein, und doch weiß ich gewiß, daß ic h diesen Menschen nicht zum erstenmal sehe.«
»Bei Gott, ich glaube es wohl, das ist der arme Lubin, der Lakai des Comte de Wardes, den Ihr vor einem Monat in Calais auf dem Wege nach dem Landhaus des Gouverneurs so übel zugerichtet habt.«
»Ach! Ja, so ist’s, ich erkenne ihn nun wieder. Glaubst du, daß er dich auch erkennt?«
»Wahrhaftig, Monsieur, er war so voll Angst, daß ich nicht glaube, daß ich ihm im Gedächtnis geblieben bin.«
»Nun, so geh’ und rede mit dem Burschen, erkundige dich, ob sein Herr noch lebt.«
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Planchet stieg ab, ging gerade auf Lubin zu, der ihn wirklich nicht erkannte, und die beiden Bedienten fingen an, in schönster Eintracht miteinander zu plaudern, während d’Artagnan die Pferde in ein Gäßchen trieb, rund um ein Haus ritt und zurückkehrte, um hinter einem Haselnußstrauch das Gespräch anzuhören.
Kaum hatte er sich einen Augenblick seinen Beobachtungen hingegeben, als er Wagengerassel vernahm und Myladys Prunkwagen ihm gegenüber anhielt. Er konnte sich nicht täuschen. Mylady saß darin. D’Artagnan legte sich auf den Hals seines Pferdes, um alles zu sehen, ohne gesehen zu werden.
Mylady schaute mit ihrem reizenden blonden Kopf aus dem Kutschenschlag heraus und gab ihrer Zofe Befehle. Diese, ein hübsches, lebhaftes, flinkes Mädchen, sprang von dem Fußtritt herab und wandte sich nach der Terrasse, wo d’Artagnan Lubin bemerkt hatte.
D’Artagnan folgte der Zofe mit den Augen und sah sie nach der Terrasse gehen. Zufälligerweise aber hatte ein Befehl aus dem Inneren des Hauses Lubin hineingerufen, und Planchet war allein geblieben. Die Kammerfrau näherte sich Planchet, den sie für Lubin hielt, gab ihm ein Billett und sagte: »Für Euern Herrn.«
»Für meinen Herrn?« fragte Planchet sehr erstaunt.
»Ja – und es hat große Eile – , nehmt also geschwind!«
Hierauf ging sie nach dem Wagen zurück, der wieder, nachdem sie aufgesprungen war, zurückfuhr.
Planchet wandte das Billett um und um, lief dann von der Terrasse hinab, eilte in das Gäßchen und traf nach zwanzig Schritten seinen Herrn, der alles gesehen hatte und ihm entgegen kam. »Für Euch, Monsieur«, sagte Planchet, das Billett dem jungen Mann überreichend.
»Für mich? Bist du dessen ganz gewiß?«
»Bei Gott, ganz gewiß, die Zofe sagte: ›Für deinen Herrn‹. Ich 13
habe keinen andern Herrn außer Euch, also … Ein hübscher Bissen von einem Mädchen, diese Zofe, wahrhaftig.«
D’Artagnan öffnete den Brief und las
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