Die drei Musketiere 2
kommt.«
»Dann eilt an die Tür und öffnet selbst.«
»Was gibt es?« fragte der Offizier.
»Ihr habt mir gesagt, ich solle die Tür öffnen, wenn ich um Hilfe rufen höre, aber Ihr vergaßt, mir den Schlüssel zu lassen.
Ich hörte Euch rufen, ohne daß ich verstand, was Ihr verlangtet, und wollte die Tür öffnen, aber sie war von innen verschlossen, und ich rief deshalb den Sergeanten.«
»Und hier bin ich«, sagte der Sergeant.
Verwirrt, beinahe verrückt, fand Feiton keine Worte. Mylady begriff, daß sie eingreifen müsse. Sie lief nach dem Tisch und ergriff das Messer, das Feiton darauf gelegt hatte.
»Und mit welchem Recht wollt Ihr mich hindern zu sterben?«
fragte sie.
»Großer Gott!« rief Feiton, als er das Messer in ihrer Hand blinken sah.
In diesem Augenblick erscholl ein ironisches Gelächter im Flur. Von dem Lärm angelockt, stand Lord Winter im
Schlafrock, den Degen unter dem Arm, auf der Türschwelle.
»Ah! Ah!« sagte er, »wir sind beim letzten Akt der Tragödie angelangt. Ihr seht, Feiton, das Drama hat alle Stufen durchlaufen, aber seid unbesorgt, es wird kein Blut fließen.«
Mylady begriff, daß sie verloren war, wenn sie nicht Feiton einen unmittelbaren und furchtbaren Beweis von ihrem Mut gab.
»Ihr täuscht Euch, Mylord, es wird Blut fließen. Möge es auf die zurückfallen, die es fließen lassen.«
Feiton stieß einen Schrei aus und stürzte auf sie zu. Es war zu 217
spät, Mylady hatte zugestochen. Aber das Messer hatte glücklicherweise – oder besser geschickterweise – den stählernen Schnürleib getroffen, der in jener Zeit wie ein Panzer die Brust der Frauen beschützte. Es hatte das Kleid zerrissen, war aber dann abgeglitten und schräg zwischen dem Fleisch und den Rippen eingedrungen. So war ihr Kleid in einer Sekunde mit Blut bedeckt. Sie sank zurück und schien ohnmächtig. Feiton entriß ihr das Messer.
»Seht, Mylord«, sagte er mit düsterer Miene. »Diese Frau war unter meine Obhut gestellt und hat sich getötet.«
»Seid unbesorgt, Feiton«, sagte Lord Winter, »sie ist nicht tot.
Die Teufel sterben nicht so leicht, seid unbesorgt, erwartet mich in meinem Zimmer.«
»Aber, Mylord …«
»Geht, ich befehle es Euch!«
Feiton gehorchte dem Befehl seines Vorgesetzten, aber er steckte das Messer in seinen Busen, als er sich entfernte. Lord Winter begnügte sich, die Frau zu rufen, die Mylady bediente, und als diese gekommen war, empfahl er ihr die noch immer ohnmächtige Gefangene und ließ sie mit dieser allein. Da jedoch die Wunde trotz seines Argwohns von Bedeutung sein konnte, so schickte er sogleich einen Reiter ab, um den Arzt zu holen.
*
Gegen vier Uhr morgens erschien der Arzt, doch hatte sich die Wunde bereits wieder geschlossen. Der Arzt konnte also weder ihre Richtung noch ihre Tiefe ermessen. Er erkannte nur an dem Puls der Kranken, daß die Sache nicht von Bedeutung war. Am Morgen schickte Mylady, unter dem Vorwand, die ganze Nacht nicht geschlafen zu haben und der Ruhe zu bedürfen, die Frau weg, die bei ihr wachte. Sie hegte die Hoffnung, Feiton werde zur Frühstücksstunde ersche inen, aber er kam nicht. Hatten sich 218
ihre Befürchtungen verwirklicht? Sollte Feiton, von Lord Winter beargwöhnt, in dem entscheidenden Augenblick sein Wort nicht halten können? Sie hatte nur noch einen Tag. Lord Winter hatte ihr für den 23. ihre Einschiffung angekündigt, und es war bereits der Morgen des 22. angebrochen. Trotzdem wartete sie noch geduldig bis zur Stunde des Mittagsmahls. Obgleich sie am Morgen nichts gegessen hatte, wurde doch das Mittagessen zur gewöhnlichen Stunde gebracht. Mylady bemerkte mit
Schrecken, daß die Soldaten, die sie bewachten, eine andere Uniform trugen.
Feiton war fort. Es waren andere Soldaten eingestellt; man mißtraute also Feiton. Das war ein entscheidender Schlag für die Gefangene.
Man trug das Abendessen auf. Mylady fühlte, daß sie der Kräfte bedurfte. Sie wußte nicht, was in dieser Nacht vorgehen konnte, die drohend herannahte, denn schwere Wolken wälzten sich am Himmel hin, und ferne Blitze kündigten einen Sturm an.
Der Sturm brach wirklich gegen zehn Uhr abends los. Mylady fand einen Trost darin, daß die Verwirrung in der Natur der in ihrem Herzen entsprach. Der Donner rollte in der Luft, wie der Zorn in ihrem Herzen. Es war ihr, als brauste der Wind über ihre Stirn, wie über die Bäume, deren Zweige er krümmte, und deren Blätter er fortriß. Sie heulte wie der Ozean, und ihre Stimme verlor
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