Die drei Musketiere 2
mir!« rief Buckingham, »aber ich glaube gar, Ihr droht mir!« – »Nein, Mylord, ich bitte noch und sage Euch: Wie ein Tropfen Wasser genügt, um ein volles Gefäß überlaufen zu lassen, so kann ein leichtes Vergehen die 226
Züchtigung auf das trotz so vieler Verbrechen bisher verschont gebliebene Haupt herabbeschwören.«
»Leutnant Feiton«, befahl Buckingham, »Ihr werdet sofort hinausgehe n und Euch auf der Stelle in Arrest begeben.« – »Ihr sollt mich bis zum Ende anhören, Mylord. Ihr habt dieses junge Mädchen verführt, beschimpft, beschmutzt. Macht Eure Verbrechen an ihr wieder gut, laßt sie frei ziehen, das ist alles, was ich von Euch verlange.«
»Was Ihr von mir verlangt!« wiederholte Buckingham, indem er Feiton erstaunt ansah und jede Silbe dieser Worte betonte.
»Mylord«, fuhr Feiton fort, der immer aufgeregter wurde, je länger er sprach, »ganz England ist Eurer Frevel müde, Mylord, Ihr habt die königliche Gewalt, die Ihr an Euch gerissen, mißbraucht, Mylord, Ihr seid Gott und den Menschen zum Abscheu. Gott wird Euch später bestrafen, aber ich, ich bestrafe Euch heute.«
»Ah, das ist stark«, rief Buckingham mit einem Schritt gegen die Tür.
Feiton versperrte ihm den Weg.
»Unterzeichnet, Mylord, unterzeichnet die Freilassung von Lady Winter«, sagte Feiton und hielt dem Herzog ein Papier hin.
»Gewalt? Scherzt Ihr? Holla, Patrick!«
»Unterzeichnet, Mylord!«
»Nie!«
»Nie?«
»Herbei!« rief der Herzog und griff zu gleicher Zeit nach seinem Degen.
Aber Feiton ließ ihm keine Zeit, ihn zu ziehen; er hielt unter seinem Wams ein Messer verborgen, mit dem sich Mylady verwundet hatte. Mit einem Sprung war er beim Herzog.
Da trat Patrick in den Saal und rief: »Mylord, ein Brief aus Frankreich.«
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»Aus Frankreich!« sagte der Herzog, der in diesem
Augenblick alles um sich her vergaß und nur an die dachte, von der dieser Brief wohl kam.
Feiton benutzte diesen Moment und stieß ihm das Messer bis ans Heft in die Seite.
»Ha, Verräter!« schrie Buckingham, »du hast mich
ermordet.«
»Mörder! Mörder! schrie Patrick.
Feiton schaute sich um, wo er entfliehen könnte. Als er die Tür geöffnet sah, stürzte er in das angrenzende Zimmer, wo die Abgeordneten von La Rochelle warteten, eilte hindurch und lief nach der Treppe. Aber auf der ersten Stufe begegnete er Lord Winter, der ihn, als er ihn, verstört, leichenblaß, an der Hand und im Gesicht mit Blut befleckt, herabstürzen sah, an der Gurgel faßte und ihm zurief: »Ich wußte es! Ich Unglücklicher!«
Feiton leistete keinen Widerstand. Lord Winter übergab ihn den Wachen, die ihn bis auf weiteren Befehl auf eine kleine, das Meer beherrschende Terrasse führten, und eilte selbst in Buckinghams Kabinett.
Bei des Herzogs Geschrei und dem Ruf Patricks lief der Mann, den Feiton im Vorzimmer getroffen hatte, hastig in das Kabinett. Er fand den Herzog auf einem Sofa ausgestreckt, die Wunde mit krampfhafter Hand zudrückend.
»La Porte«, sagte der Herzog mit sterbender Stimme,
»kommst du von ihr?«
»Ja, Mylord«, antwortete der getreue Diener Annas von Österreich, »aber vielleicht zu spät.«
»Still! Man könnte Euch hören. Patrick, laß niemanden herein. Oh! Ich soll nicht erfahren, was sie mir sagen läßt. Mein Gott, ich sterbe!«
Und der Herzog fiel in Ohnmacht. Indessen waren Lord Winter, die Abgeordneten, die Befehlshaber des zur
Einschiffung bereiten Heeres und die Hausbeamten ins Zimmer 228
gedrungen. Überall erhob sich verzweifeltes Geschrei. Die Nachricht, die den Palast mit Klagen und Seufzen erfüllte, wurde bald ruchbar und verbreitete sich in der Stadt.
Lord Winter raufte sich die Haare.
»Um eine Minute zu spät!« rief er, »um eine Minute zu spät!
O mein Gott, welch ein Unglück!«
Man hatte ihm um sieben Uhr früh gemeldet, eine Strickleiter hänge an einem der Fenster des Schlosses. Er war sogleich in Myladys Zimmer gelaufen, hatte dieses leer, das Fenster offen und die Gitterstangen durchsägt gefunden. Es fiel ihm ein, was ihm d’Artagnan durch seinen Boten mündlich empfohlen hatte.
Er zitterte für den Herzog, lief in den Stall, ohne sich Zeit zu nehmen, ein Pferd satteln zu lassen, bestieg das nächstbeste, eilte im stärksten Galopp davon, sprang im Hof herab, eilte die Treppe hinauf und begegnete, wie wir erzählten, Feiton auf der ersten Stufe.
Der Herzog war jedoch nicht tot. Er kam wieder zu sich, öffnete die Augen und alle waren von neuer Hoffnung
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