Die drei Musketiere Trilogie 03 - Zehn Jahre später
England. Ich habe keine Lust, in die Bastille zu spazieren.«
Rudolf ballte die Fäuste, preßte die Zähne aufeinander und sprach kein Wort mehr, bis er vor Madame stand. Reizender als je ruhte Lady Henriette in einem Schlafsessel und spielte in dem seidenen Fell einer kleinen Katze. Sie schien in Träume versunken, die Montalais mußte sie anreden, dann erst sah sie auf und begrüßte Herrn von Bragelonne. – »Sieh da! Zurück aus England. Verlassen Sie uns, Montalais! Sie haben ein paar Minuten für mich übrig, Herr Graf?« – »Mein ganzes Leben gehört Ihrer Königlichen Hoheit,« antwortete Rudolf, der nichts davon erfahren hatte, daß Madame selbst es gewesen, die ihn hatte zurückkommen lassen.
»Herr von Bragelonne,« begann Madame nach kurzem Schweigen, »sind Sie gern zurückgekommen?« – »Und weshalb sollte ich ungern zurückgekommen sein, Hoheit?« antwortete er. – »Ein Mann Ihres Alters und ein so schöner Mann könnte dazu doch immer Ursache gehabt haben,« sagte sie lächelnd. »Oder sollte GottAmor in England keine Stätte mehr haben?« – »Madame,« erwiderte Rudolf, »Sie wollen mir etwas sagen, und Ihr natürlicher Edelmut veranlaßt Sie, schonend vorzugehen. Nun, schonen Sie mich nicht, ich bin stark genug, alles zu hören – nur die Ungewißheit ist grausam.«
»Grausam auch die Gewißheit,« sagte die Herzogin leise. »Doch weil ich schon anfing – was hat Ihnen Herr von Guiche gesagt?« – »Nichts, Madame.« – »Nichts? Daran erkenne ich ihn; er wollte ohne Zweifel mich schonen. Aber d'Artagnan, von dem Sie eben kommen?« – »Sagte mir ebensowenig wie Guiche, Madame.« – Henriette machte eine Gebärde der Ungeduld. »Aber was der ganze Hof weiß, das wenigstens ist Ihnen bekannt?« – »Mir ist nichts bekannt.« – Henriette fühlte Rührung beim Anblick dieses Mannes, der so traurig und so tapfer war. – »Herr von Bragelonne,« sagte sie, »so will ich denn tun, was Ihre Freunde nicht zu tun wagten. Ich will als Ihre Freundin handeln. Sie tragen da den Kopf eines Ehrenmannes, und den sollen Sie nicht unter dem Spott jedes Witzlings beugen müssen. Hören Sie mich ruhig an!«
Und sie erzählte von jenem Gewitter, bei dem der König mit der Lavallière allein im Walde gewesen, von der Flucht Luisens nach Chaillot und von der Zurückberufung. – »Sie waren der Verlobte des Fräuleins,« schloß sie, »und als solchem teile ich Ihnen noch mit, daß ich heute oder morgen trotz dem König Fräulein von Lavallière fortjagen werde. Ich habe nicht länger Lust, auf die Tränen des Königs und seine verliebten Klagelieder Rücksicht zu nehmen. Mein Haus soll fürder nicht der Schauplatz solcher Umtriebe sein.«
Rudolf neigte den Kopf zur Erde; nur mit aller Kraft vermochte er sich aufrecht zu halten. – »Ich weiß, daß ich da schwere Beschuldigungen ausspreche,« sagte sie in sanfterem Tone, »doch werde ich nicht zaudern, sie Ihnen zu beweisen. Folgen Sie mir.« – Sie schritt mit ihm über den Hof auf die Wohnung der Lavallière zu. Das Schloß war um diese Stunde leer; der König war mit dem Hofstaate nach Saint-Germain gefahren. Madame hatte Unpäßlichkeit vorgeschützt, weil sie diese Gelegenheit benutzen wollte, um mit Bragelonne, um dessen Rückkunft zunächst sie allein wußte, zu sprechen. Sie konnte also sicher sein, die Zimmer der Lavallière und Saint-Aignans leer zu finden.
Mit einem Nachschlüssel öffnete sie die Zimmertür ihres Ehrenfräuleins. Sie traten ein und schlossen hinter sich zu. – »Sie wissen, wo Sie sind?« fragte Lady Henriette. – »Ich erkenne das Zimmer wieder,« antwortete er. »Es ist das des Fräuleins.« – Die Prinzessin schritt zu dem Wandschirm, rückte ihn beiseite und bückte sich zum Fußboden nieder. Ein Fingerdruck – und Rudolf sah eine Falltür aufspringen, die eine Treppe enthüllte. – »Sehr sinnreich, nicht wahr?« rief sie. »Der Druckknopf ist kaum zu erkennen. Beim vierten Blatt des Parketts, wo sich ein Knoten im Holz befindet. Die Feder spielt sehr leicht, damit auch eine kleine Damenhand sie in Tätigkeit setzen könne. Folgen Sie mir weiter!«
Und Rudolf stieg mit ihr die Treppe hinab und gelangte in das untere Zimmer, das selbst dem nüchternsten Auge als Treffpunkt eines Liebespaares erscheinen mußte. – »Es ist Herrn von Saint-Aignans Zimmer,« sagte Madame. »Es traf sich zufällig, daß es frei stand,und der Hofmeister des Königs zögerte nicht, hierhin überzusiedeln.«
Bragelonne
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