Die drei Musketiere Trilogie 03 - Zehn Jahre später
antwortete Marchiali. – »Und Sie verweigerten die Antwort,« sagte Aramis. – »Warum sollte ich Ihnen heute antworten?« erwiderteder junge Mann. – »Weil ich heute als Beichtvater vor Ihnen stehe,« sprach der Bischof.
»Wenn ich Ihnen sagen soll, welches Verbrechen ich begangen, so sagen Sie mir erst, was ein Verbrechen ist. Ich habe mir selbst um nichts Vorwürfe zu machen und erkläre, ich bin kein Verbrecher.« – »Bisweilen ist man in den Augen der Großen ein Verbrecher, nicht weil man ein Verbrechen begangen, sondern weil man um Verbrechen weiß, die andere begangen haben.« – Der Gefangene nickte. – »Ich verstehe,« sagte er. »In dieser Hinsicht könnte ich in den Augen der Großen ein Verbrecher sein. Wenn ich schärfer darüber nachdenken wollte, so würde ich entweder verrückt werden oder sehr viele Dinge erraten.«
»Ah, Sie wissen etwas?« rief Aramis. – Doch Marchiali brach ab. »Ich bin zufrieden mit dem, was ich hier habe,« murmelte er düster. »Warum soll ich mich dem Verlangen nach anderem hingeben? Doch Siel« rief er aus, »Sie haben mich veranlaßt, einen Beichtvater zu rufen, und Sie kommen nun hierher mit dem Versprechen, mir vieles mitzuteilen. Warum schweigen Sie jetzt? warum soll ich reden? Wir tragen beide eine Maske, aber ich werde sie nur zusammen mit Ihnen ablegen.«
Aramis fühlte die Richtigkeit dieses Urteils. – »Hier habe ich es mit keinem gewöhnlichen Menschen zu tun,« dachte er. »Nun,« fragte er laut, »besitzen Sie Ehrgeiz?« – »Was ist Ehrgeiz?« erwiderte Marchiali.
»Der Trieb, mehr zu haben, als man hat,« sagte d'Herblay. – »Ich habe schon erklärt, ich bin hier zufrieden,« versetzte der Gefangene; »allein darin kann ich mich auch irren. Es ist möglich, daß ich Ehrgeiz habe. Können Sie mir das Gefühl des Ehrgeizes noch näher erläutern?« – »Ein Ehrgeiziger ist derjenige, der überseinen Stand hinaustrachtet.« – »Ich trachte nicht über meinen Stand hinaus,« sagte der Gefangene in einem so sichern Tone, daß Aramis stutzte.
»Sie haben mich belogen, als ich das erste Mal hier war,« sprach d'Herblay. – »Belogen?« rief Marchiali in so heftigem Tone und mit so flammenden Augen, daß Aramis erschrak. – »Ich will sagen,« fuhr er mit einer Verbeugung fort, »Sie haben mir verschwiegen, daß Sie etwas von Ihrer Jugend wissen.« – »Mein Herr, meine Geheimnisse gehören nicht dem ersten besten, der da herkommt.« – »Bin ich der erste beste, Monseigneur?« fragte Aramis mit einem Lächeln. – Dieser Titel verursachte dem Gefangnen Unruhe, doch schien er sich nicht zu wundern, daß man ihn so nannte. – »Mein Herr,« versetzte er, »Sie sind mir unbekannt.« – »O, wenn ich den Mut hätte,« entgegnete der Bischof, »würde ich Ihre Hand ergreifen und küssen.« – Der Gefangene machte eine Bewegung, als wollte er die Hand ausstrecken; aber das Leuchten seiner Augen erlosch am Rande der Wimpern, und die Finger zogen sich wieder kalt und mißtrauisch zurück.
»Einem Gefangenen die Hand küssen?« sagte er. »Wozu?« – »Sie trauen mir nicht,« fuhr Aramis fort. »Doch das begreife ich: denn wenn Sie wissen, was Sie wissen müßten, so können Sie nicht anders, als aller Welt mißtrauen.« – »Nun, so wundern Sie sich nicht darüber,« antwortete der junge Mann ruhig. – »O, Sie bringen mich in Verzweiflung, Monseigneur!« rief d'Herblay, betroffen über diesen hartnäckigen Widerstand. »Ich begreife, Sie müssen allen mißtrauen, aber machen Sie doch eine Ausnahme bei Ihren alten Freunden!« – »Gehören Sie zu meinen alten Freunden?« fragte Marchiali.– »Erinnern Sie sich nicht mehr?« antwortete der Bischof. »Sie sahen doch einst in jenem Dorfe, wo Sie Ihre Jugend verlebten –«
»Kennen Sie den Namen dieses Dorfes?« fragte der Gefangene. – »Noisy-le-Sec,« antwortete Aramis fest.
»Fahren Sie fort,« sprach der junge Mann, ohne merken zu lassen, ob er zustimmte oder verneinte. – »Gut, da Monseigneur durchaus dieses Spiel fortsetzen wollen,« erwiderte Aramis. »Gewiß, ich bin gekommen, Ihnen vieles zu sagen, aber Sie müssen mir auch zeigen, daß Sie Verlangen hegen, all das zu erfahren. Bevor ich diese Dinge preisgebe, die lange Jahre in meiner Brust eingeschlossen waren, erwarte ich von Ihnen, das werden Sie begreifen, ein wenig Entgegenkommen, ein wenig Sympathie, eine Spur von Vertrauen. Sie stellen sich unwissend – das schreckt mich ab. Und wenn Sie auch wirklich ganz unwissend
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