Die drei Musketiere Trilogie 03 - Zehn Jahre später
Anstalten einen dem Orden angehörenden Beichtvater zu rufen. Ich hielt es für angebracht, Sie auf diesen Paragraphen der Ordensstatuten hinzuweisen.« – »Er ist mir bekannt,« antwortete Baisemeaux, etwas kleinlaut. »Allein – bei mir liegt zur Zeit niemand krank oder im Sterben.« – »Wissen Sie das so genau?« fragte Aramis in seltsamem Tone.
Kaum hatte er gesprochen, so erschien ein Sergeant und meldete: »Der Gefangene Marchiali fühlt sich krank und verlangt nach einem Beichtvater.« – In den Augen des Bischofs leuchtete es auf. – »Ah!« rief Baisemeaux erstaunt. »Es ist gut, gehen Sie, ich werde für das Weitere sorgen.« Und als der Sergeant sich entfernt hatte, sah er den Bischof von Vannes an. »Was nun?« – »Tun Sie Ihre Pflicht,« antwortete Aramis. – »Ja, ich werde einen Boten schicken und mir einen Beichtvater ausbitten,« stammelte der Gouverneur in sichtlicher Verlegenheit. – »Es ist nicht nötig,« versetzte Aramis, »der Beichtvater bin ich.« – Diese Worte wirkten auf Baisemeaux wie ein Donnerschlag. Er wurde totenbleich; es war ihm zumute, als seien die schönen Augen d'Herblays zwei leuchtende Fackeln, die bis in die Tiefe seiner Seeledrangen. – »O, Monseigneur,« rief er, »wie hätte ich ahnen sollen –? Was ordnen Sie nun an, Monseigneur?« – »Ich?« antwortete Aramis lächelnd, »nichts! Ich bin nur ein armer Priester, ein schlichter Beichtiger. Befehlen Sie mir, den Kranken zu besuchen?« – »O, Monseigneur, ich befehle es Ihnen nicht – ich bitte Sie darum,« stammelte der Gouverneur.
Aramis wurde zu Marchiali geführt. Der junge Mann lag in dem Bett, welches mit feinster Leinwand bezogen war; sein Kopf ruhte auf seidenweichen Kissen. Während sonst nach dem Gefängnisstatut zu dieser Zeit schon alle Zellen finster sein mußten, hatte Marchiali noch Licht. Die auf dem Tische stehenden Teller bezeugten, daß er das Abendessen kaum angerührt hatte. Als Aramis eintrat, veränderte der junge Mann seine Lage nicht. Er hob nur den Kopf und fragte: »Was will man von mir?« – »Sie haben einen Beichtvater verlangt?« antwortete Aramis, »sind Sie krank?« – »Ja,« sprach er. »Sind Sie einer? Sie waren schon einmal bei mir.«
Aramis verneigte sich. Offenbar gefiel dem jungen Manne der verschmitzte, kalte Charakter nicht, der sich in den Zügen des Bischofs von Vannes ausprägte. »Es wird nicht nötig sein,« sagte er, wenig geneigt, diesem Manne sein Vertrauen zu schenken, »es geht mir jetzt besser.« – »Sie haben ein Briefchen in Ihrem Brote gefunden,« sagte Aramis ruhig, »worin Ihnen eine wichtige Mitteilung verheißen wurde.« – Der junge Mann stutzte. – »Wenn Sie der Mann sind, der sich darin ankündigte,« sprach er, »so ist es etwas anderes. Ich höre.«
D'Herblay betrachtete ihn genauer und erstaunte über diesen Ausdruck schlichter, lieblicher Majestät, den man nie erlangt, wenn Gott ihn uns nicht ins Blut gelegthat. – »Setzen Sie sich,« sagte er, und Aramis, sich verneigend, nahm Platz. – »Gefällt es Ihnen noch immer in der Bastille?« begann Aramis. »Beklagen Sie nach wie vor nichts?« – »Was soll ich beklagen?« erwiderte Marchiali. – »Daß Sie nicht frei sind,« sagte der Bischof.
»Was verstehen Sie unter Freiheit?« antwortete der Gefangene. – »Die Blumen sehen, die Luft atmen, den Tag erschauen, die Sterne betrachten, das Glück haben herumzulaufen, wohin uns zwanzigjährige Beine tragen können.«
Der junge Mann lächelte. Es wäre schwer gewesen zu sagen, ob mit Resignation oder mit Verachtung. – »Ich habe die schönsten Rosen aus dem Garten des Gouverneurs hier,« antwortete er. »Warum sollte ich mir andere Blumen wünschen? Mein Fenster steht viel offen, es fehlt mir nicht an Luft. Auch sehe ich durch das Fenster die Sonne und den Tag, den Mond und die Nacht. Ist das nicht genug? Man hat mir gesagt, es gebe Unglückliche, die in Bergwerken arbeiten müssen und die Sonne nimmer schauen. Und die Sterne? Ihr Flimmern hat oft meine Augen erquickt. Das alles habe ich, mein Herr. Ich darf auch im Garten spazieren gehen. Die Menschen haben also alles für mich getan, was ich hoffen und wünschen kann.«
»Ich bin Ihr Beichtvater,« sprach der Bischof. »Als mein Beichtkind müssen Sie mir die Wahrheit sagen. Jeder Gefangene, der in einen Kerker geworfen wird, muß ein Verbrechen begangen haben. Was war Ihr Verbrechen?« – »Sie haben mich danach schon das erste Mal gefragt, als ich Sie sah,«
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