Die drei Musketiere Trilogie 03 - Zehn Jahre später
graute eben; allem Anschein nach schlief noch alles. D'Artagnan, der in Aramis' Schlafgemach getreten war, merkte jedoch, daß dieser sich nur schlafend stellte, denn er mußte Aramis zweimal an der Schulter rütteln. Er wußte aber von früher her, daß der Prälat einen sehr leisen Schlaf hatte und beim geringsten Geräusch, bei der leisesten Berührung zu erwachen pflegte. – »Ah, Sie sind's!« rief der Mann der Kirche. »Ich hatte über Nacht ganz vergessen, daß Sie bei mir sind. Es ist wohl nochsehr früh. Hatten wir uns nicht auf acht Uhr verabredet?« – »Das ist möglich, aber ich dachte, je früher desto besser,« antwortete der Gaskogner. »Ich bin nun einmal ans Frühaufstehen gewöhnt.« – »Dann lassen Sie mich wenigstens meine Morgenandacht halten.« – »Gut, ich gehe inzwischen zu Porthos. – »Ja, tun Sie das,« antwortete Aramis, ohne eine Miene zu verziehen.
Der Gaskogner entfernte sich, kam aber schon nach zwei Minuten wieder. – »Porthos ist nicht mehr auf seinem Zimmer,« sagte er, den Prälaten ansehend, den er jetzt in Gesellschaft zweier Ordensbrüder traf. – »Was Sie sagen?« rief er, mit meisterlich gespielter Verwunderung. »Wo mag er wohl sein? Haben Sie sich schon erkundigt?« – »Man hat mir gesagt, er sei ausgegangen.« – »Ah, er wird fortgeritten sein, um uns eine Ueberraschung zu machen. Am Kanal von Vannes gibt es viele Wildenten, da wird er ein paar zum Frühstück schießen. Reiten Sie ihm nach!« – »Das will ich tun,« sagte d'Artagnan. – Er ließ sich ein Pferd satteln und trieb sich zwei Stunden lang am Kanal herum, in der Hoffnung, die kolossale Gestalt seines Freundes zu entdecken; aber er fand keine Spur von ihm. Als er zurückkehrte, erwartete ihn Aramis. – »Es tut mir leid,« Freund,« rief er ihm zu, »daß Sie sich einen vergeblichen Weg gemacht haben. Ein Pfarrer war eben bei mir, der Porthos begegnet ist. Er hat ihn ersucht, uns mitzuteilen, daß er nach Belle-Ile hinübergefahren sei, weil er die Aufsicht doch nicht dem Architekten Gétard allein überlassen will.«
D'Artagnan nahm am Frühstück teil, aber eine fieberhafte Ungeduld ließ keinen rechten Appetit bei ihm aufkommen. Er entfernte sich mit dem Vorgeben, nundoch noch ein wenig auf die Jagd zu gehen, da er auf feinem Morgenritt wirklich schönes Federwild getroffen habe.« In Wahrheit aber ritt er zum Hafen, mietete eine Barke und fuhr schleunigst nach Belle-Ile. Vom Turm seines Hauses aus ließ Aramis vermittels eines Fernrohrs den Hafen beobachten, so daß d'Artagnans Abfahrt ihm nicht verborgen blieb. Der Gaskogner suchte nun auch in Belle-Ile vergebens nach dem Baron, und nun begann ihm ein Licht aufzugehen. Sofort fuhr er nach dem Festlande zurück und eilte nach Vannes, um seinem Freunde Aramis wegen des falschen Spiels heftige Vorwürfe zu machen. Als er im Hause des Prälaten ankam, übergab man ihm einen Brief, der folgendermaßen lautete:
»Lieber Freund! Dringende Geschäfte rufen mich in meine Diözese. Ich hoffte, Sie vor meiner Abreise noch einmal zu sehen. Aber Sie werden vermutlich ein paar Tage bei unserm Freunde Porthos in Belle-Ile bleiben wollen. Leben Sie also wohl. Es tut mir unendlich leid, daß ich das schöne Vergnügen Ihrer Gesellschaft nicht länger haben kann.«
»Alle Wetter!« rief d'Artagnan, »ich bin hinters Licht geführt worden. Ich Esel! Genarrt – genarrt wie ein Affe, der eine hohle Nuß bekommt!« – Er gab in seiner Wut dem süßlich grinsenden Kammerdiener eine Ohrfeige und stürmte von dannen. Auf der Postanstalt wählte er das beste Pferd aus.
9. Kapitel. Schachzüge
Dreißig Stunden nach den eben erzählten Ereignissen, fuhr ein Wagen, mit vier Pferden bespannt, im Hofe des Fouquetschen Palasts zu Saint-Mandé vor. Der Reisende nannte seinen Namen und wurde vom Diener sofort angemeldet, Fouquet öffnete alsbald sein Zimmer und erschien auf der Schwelle. – »O, armer Freund!« rief er. »In welchem Zustande –?« – »Ja, todmüde, wie Sie sehen!« antwortete Aramis keuchend. »Hauptsache, ich bin da!« – »Was aber ist die Ursache?« fragte Fouquet und zog ihn ins Zimmer. »Reden Sie!« – »Ist du Vallon angekommen?« – »Ja.« – »Und Sie haben meinen Brief erhalten?« – »Ja. Scheint ja bedenklich zu sein, zumal Sie nun selbst nachkommen.« – »Höchst bedenklich. Hat du Vallon Ihnen nichts gesagt, als er den Brief überbrachte?« – »Nein. Ich hörte einen Höllenlärm, eilte ans Fenster und sah einen
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