Die drei Musketiere
auf die Spur der entführten Frau zu bringen vermochte. Als er nun seine Flasche ganz ruhig und ohne einen Verdacht zu erwecken geleert hatte, sah er sich genötigt, in seiner Ecke eine möglichst gute Lage einzunehmen, und gut oder übel einzuschlafen. D'Artagnan zählte erst zwanzig Jahre, wie man weiß, und in diesem Alter hat der Schlaf unverjährbare Rechte, auf die er selbst bei verzweiflungsvollem Herzen gebieterisch besteht. Gegen sechs Uhr früh erwachte d'Artagnan mit jener Unbehaglichkeit auf, die gewöhnlich auf eine schlimme Nacht zu folgen pflegt. Er war mit seinem Anzug bald fertig, und ging hinaus, um zu sehen, ob er am Morgen nicht eher, als in der Nacht, seinen Bedienten aufspüren könne. In der Tat war der erste Gegenstand, den er durch den feuchten, grauen Nebel erblickte, der ehrsame Planchet, der ihn mit den zwei Pferden an der Hand vor der Tür einer kleinen Schenke erwartete, vor der d'Artagnan vorbeigegangen war, ohne ihr Dasein zu vermuten.
Porthos.
Anstatt geradewegs nach Hause zurückzukehren, stieg d'Artagnan vor der Tür des Herrn von Tréville vom Pferd und ging eilig die Treppe hinan. Er war diesmal entschlossen, ihm alles, was sich begeben hatte, mitzuteilen. Zweifelsohne würde er ihm in dieser ganzen Sache gute Ratschläge erteilen, und dann, da Herr von Tréville fast täglich die Königin sah, so könnte er vielleicht von Ihrer Majestät Nachrichten über die arme Frau erhalten, die gewiß ihre Ergebenheit für ihre Gebieterin büßen mußte. Herr von Tréville hörte der Mitteilung des jungen Mannes mit einem Ernst zu, der bewies, daß er in dieser ganzen Sache etwas anderes sah, als eine Liebesintrige, und dann, als d'Artagnan zu Ende war, sagte er: »Hm! das riecht auf eine Meile nach dem Kardinal.«
»Doch was soll da geschehen?« fragte d'Artagnan. »Nichts, durchaus nichts zu dieser Stunde, als Paris so schnell wie möglich verlassen, wie ich Ihnen schon gesagt habe. Ich werde die Königin sehen, und ihr umständlich alles mitteilen von dem Verschwinden der armen Frau, wovon sie gewiß noch nichts weiß; diese Umstände werden ihr einen Fingerzeig geben, und wenn Sie wieder zurückkommen, kann ich Ihnen vielleicht Gutes berichten. Verlassen Sie sich auf mich.« D'Artagnan wußte, daß Herr von Tréville, ob er auch Gascogner war, nicht gern zu versprechen Pflegte, daß er aber, wenn er zufällig etwas zusagte, mehr hielt, als er versprochen hatte.
D'Artagnan war entschlossen, den Rat des Herrn von Tréville unverzüglich zur Ausführung zu bringen und begab sich in die Gasse Fossoyeurs, um das Bepacken seines Mantelsackes zu überwachen. Als er sich Nr. 11 näherte, erkannte er Herrn Bonacieux, der im Morgenanzug an der Schwelle seiner Tür stand. D'Artagnan gedachte alles dessen, was ihm tags zuvor der schlaue Planchet von dem tückischen Charakter seines Wirtes gesagt hatte, und faßte ihn aufmerksamer ins Auge als je zuvor. In der Tat, außer der gelblichen und kränklichen Blässe, welche die Vermengung der Galle mit dem Blut andeutete, und die übrigens auch zufällig sein konnte, bemerkte d'Artagnan etwas Verschmitztes und Falsches in den Zügen und Runzelbewegungen seines Gesichts. Ein Schurke lacht nicht so wie ein ehrbarer Mann, ein Heuchler weint nicht dieselben Tränen wie ein Mann von Glauben und Treue. Es kam also d'Artagnan vor, als ob Herr Bonacieux eine Maske trüge, und zwar eine der unangenehmsten. Er wollte nun in seinem Abscheu gegen diesen Mann an ihm vorübergehen, ohne ein Wort mit ihm zu reden, doch sprach ihn Herr Bonacieux an wie tags vorher: »Nun, junger Mann! es scheint, daß wir Fastnachtsnächte machen? sieben Uhr früh – Pest! Es scheintals wollten Sie die alte Gewohnheit umwenden, und kehren zu der Stunde heim, wo andere ausgehen.«
»Meister Bonacieux,« erwiderte der junge Mann, »da Sie ein wahres Muster von einem ordentlichen Manne sind, so wird man Ihnen keinen ähnlichen Vorwurf machen. Freilich, wenn man eine hübsche junge Frau besitzt, hat man nicht nötig, dem Glücke nachzulaufen; das Glück sucht vielmehr Sie auf. nicht wahr, Bonacieux?« Herr Bonacieux wurde leichenblaß und verzerrte lächelnd den Mund; dann sprach er: »Ah, ah! Sie sind ein scherzhafter Geselle. Aber wo Teufel find Sie denn diese Nacht herumgelaufen, junger Herr? Wie es scheint, waren die Quer- und Seitenwege nicht am besten.« D'Artagnan sah hinab auf seine ganz mit Kot bedeckten Stiefel, doch bei dieser Bewegung fiel sein Blick auch auf die Schuhe und
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