Die drei Musketiere
mich unwohl befinden – hälst du mich für ein schwächliches Wesen von einer Frau? Wenn man mich verletzt, so bin ich nicht unwohl, ich räche mich, hörst du?«
Ein Rachetraum.
Am Abend erteilte Mylady den Auftrag, Herrn d'Artagnan bei ihr einzuführen, sobald er seiner Gewohnheit nach käme; er kam aber nicht. Am folgenden Morgen besuchte Ketty den jungen Mann wieder und berichtete ihm alles, was tags zuvor vorgegangen war; d'Artagnan lächelte; dieser eifersüchtige Zorn der Mylady war seine Rache. Am zweiten Tage war Mylady, noch unruhiger als tags zuvor; sie erneuerte den Auftrag rücksichtlich des Gascogners, wartete aber wieder umsonst. Am nächsten Tage fand sich Ketty abermals bei d'Artagnan ein, doch war sie nicht so munter und froh wie früher, sondern im Gegenteil düster und traurig bis zum Tode. D'Artagnan fragte das arme Mädchen, was ihr fehle; allein sie zog, anstatt zu antworten, einen Brief hervor und übergab ihm denselben. Dieser Brief war von der Hand der Mylady, nur mit dem Unterschied, daß er diesmal wirklich für Herrn d'Artagnan und nicht für Herrn von Wardes bestimmt war. Er öffnete ihn und las wie folgt: »Lieber Herr d'Artagnan! es steht nicht gut, wenn man seine Freunde vernachlässigt, zumal in dem Augenblick, wo man im Begriff ist, sich auf länger von ihnen zu trennen. Ich und mein Schwager haben gestern und vorgestern auf Sie gewartet. Ist dies auch heute abend der Fall? Ihre ganz dankerfüllte Lady Winter.«
»Das ist ganz einfach,« versetzte d'Artagnan, »diesen Brief hab ich mir erwartet. Mein Kredit steigt, indem der des Grafen von Wardes sinkt.« Er ließ antworten: Er erkenne ihre Güte mit dem größten Dank an und werde ihrem Befehl nachkommen; doch wagte er es nicht, ihr zu schreiben, aus Besorgnis, er könne seine Handschrift nicht genug verstellen vor so geübten Augen, wie die der Mylady waren. D'Artagnan war, als es neun Uhr schlug, auf der Place-Royale. Die Bedienten, die im Vorgemach warteten, waren von seiner Ankunft unfehlbar unterrichtet, denn sobald er ankam und ehe er noch fragte, ob Mylady zugänglich sei, lief einer von ihnen fort, um ihn anzumelden. »Lasset ihn eintreten,« rief Mylady in einem raschen und so scharfen Tone, daß es d'Artagnan im Vorgemach hören konnte. Er wurde eingeführt. »Ich bin für niemand zu Hause,« sagte Mylady, »verstehst du? für niemand.« Der Lakai ging hinaus. D'Artagnan warf einen neugierigen Blick auf Mylady. Sie war blaß und hatte müde Augen, mochte das eine Folge von Tränen oder Schlaflosigkeit sein. Man hatte absichtlich die gewöhnliche Zahl der Lichter vermindert, und dennoch konnte die junge Frau die Spuren des Fiebers nicht verbergen, das seit zwei Tagen an ihr zehrte. D'Artagnan näherte sich ihr mit seiner gewöhnlichen Artigkeit; sie mußte sich höchst anstrengen, um ihn zu empfangen, doch nie ist ein reizenderes Lächeln durch einverstörtes Antlitz Lügen gestraft worden. Als sich d'Artagnan in bezug auf ihr Befinden erkundigte, gab ihm Mylady zur Antwort: »Schlimm, sehr schlimm!«
»Nun, so bin ich unbescheiden,« versetzte d'Artagnan, »Sie bedürfen sicher der Ruhe, und ich will mich entfernen.«
»O, nein, im Gegenteil, bleiben Sie, Herr d'Artagnan, Ihre liebenswürdige Gesellschaft wird mich zerstreuen.«
»Sie war noch nie so reizend,« dachte d'Artagnan, »wir wollen ihr Trotz bieten.« Mylady nahm ihre einnehmendste Miene an und verlieh ihrer Konversation allen möglichen Reiz. Sie wurde nach und nach mitteilend und fragte d'Artagnan, ob er eine Liebe im Herzen nähre. »Ach!« rief d'Artagnan mit seinem beweglichen Tone, »können Sie so grausam sein und an mich eine solche Frage stellen, an mich, der ich, seit ich Sie sah, nur für Sie, für Sie allein atme und seufze?« Mylady lächelte auf seltsame Weise und sagte:
»Also lieben Sie mich?«
»Brauche ich es Ihnen zu sagen? Haben Sie es nicht selbst bemerkt?«
»Ja, doch, allein Sie wissen, je stolzer die Herzen sind, desto schwerer hält es, sie zu erobern.«
»O, die Schwierigkeiten schrecken mich nicht ab,« versetzte d'Artagnan, »mich schrecken nur die Unmöglichkeiten.«
»Einer wahren Liebe ist nichts unmöglich,« bemerkte Mylady.
»Nichts, Madame.«
»Nichts,« wiederholte Mylady.
»Teufel,« dachte d'Artagnan, »die Note ändert sich. Sollte die Launenhafte etwa in mich verliebt werden? Sollte sie willens sein, mir einen zweiten Saphir zu geben, dem ähnlich, den sie vermeintlich Herrn von Wardes gegeben
Weitere Kostenlose Bücher