Die drei Musketiere
Reiter unter dem Fenster vorübertraben. »So kommen Sie, kommen Sie doch,« rief Mylady und suchte die junge Frau am Arme fortzuzerren; »mit Hilfe des Gartens können wir noch entschlüpfen; ich habe den Schlüssel, doch schnell, denn in fünf Minuten wäre es schon zu spät.« Madame Bonacieux versuchte zu gehen, tat ein paar Schritte und sank in die Knie. In diesem Augenblick vernahm man das Rollen eines Wagens, der beim Anblick der Musketiere im Galopp davonsprengte. Darauf erdröhnten drei oder vier Schüsse. »Zum letztenmal,« rief Mylady, »wollen Sie kommen?« Plötzlich funkelte ein fahler Blitz aus ihrem Auge. Sie lief zu dem Tisch und goß in das Glas von Madame Bonacieux den Inhalt eines Ringkastens, den sie mit eigentümlicher Hastigkeit geöffnet hatte. Es war ein rotes Kügelein, das auf der Stelle zerfloß. Hierauf ergriff sie das Glas mit fester Hand und sprach zu Madame Bonacieux: »Trinken Sie, dieser Wein wird Ihnen Kraft geben, trinken Sie.« Sie hielt das Glas an die Lippen der jungen Frau, die maschinenartig trank. »Ha! ich wollte mich nicht auf diese Weise rächen,« stammelte Mylady, während sie mit einem höllischen Grinsen das Glas auf den Tisch stellte; »aber meiner Treu, man tut nur, was man kann.« Darauf stürzte sie aus dem Zimmer. Madame Bonacieux sah sie fliehen, konnte ihr aber nicht folgen. Es war ihr wie jenen Menschen, die träumen, daß man sie verfolge, und umsonst zu laufen versuchen. So vergingen einige Minuten. Ein entsetzlicher Lärm entstand vor der Tür. Madame Bonacieux erwartete jeden Augenblick Myladys Zurückkunft, doch erschien sie nicht wieder. Es trat ihr zu öfterenmalen ein kalter Schweiß auf die brennende Stirn, zweifelsohne eine Wirkung des Schreckens. Endlich hörte sie das Knarren der Gitter, die man öffnete. Der Lärm von Stiefel u«d Sporen erdröhnte auf der Treppe; sie glaubte in einem starken Gemurmel von Stimmen, die sich näherten, ihren Namen nennen zu hören. Auf einmal erhob sich ein lautes Jubelgeschrei, und man stürzte nach der Tür; sie erkannte d'Artagnans Stimme. »D'Artagnan« rief sie, »d'Artagnan, sind Sie es? Hierher!«
»Konstanze! Konstanze!« erwiderte der junge Mann; »o Gott, wo sind Sie denn?« In demselben Moment ward die Tür der Zelle durch einen gewaltsamen Stoß aufgesprengt. Mehrere Männer traten in das Zimmer; Ma- Mehrere Männer traten in das Zimmer;Madame Bonacieux war in einen Lehnstuhl gesunken, ohne daß sie sich von der Stelle zu rühren vermochte. D'Artagnan schleuderte eine noch rauchende Pistole von sich und sank vor seiner Geliebten auf die Knie. Athos steckte seine Pistole in den Gürtel; Porthos und Aramis, die ihre entblößten Degen in der Hand hielten, steckten sie in die Scheide. »O, d'Artagnan, mein geliebter d'Artagnan, endlich kommst du; ha,du hast mich nicht getäuscht, du bist es.«
»Ja, ja, Konstanze! endlich vereinigt.«
»O, sie hatte gut sagen, daß du nicht kommest, ich hoffte dennoch und wollte nicht entfliehen. O, wie wohl tat ich daran, wie bin ich glücklich!« Bei dem Worte sie erhob sich Athos plötzlich, nachdem er sich schon gesetzt hatte. »Sie, wer sie?« fragte d'Artagnan. »Meine Gefährtin, diejenige, die mich aus Freundschaft meinen Verfolgern entreißen wollte, diejenige, die eben entflohen ist, weil sie Euch für Leibwachen des Kardinals gehalten hat.«
»Ihre Gefährtin?« fragte d'Artagnan und wurde so blaß wie der weiße Schleier seiner Geliebten. »Von welcher Gefährtin reden Sie?«
»Von derjenigen, deren Wagen vor der Tür stand; von einer Frau, die sich Ihre Freundin nannte, d'Artagnan; von einer Frau, der Sie alles vertraut haben.«
»Ihr Name!« rief d'Artagnan, »mein Gott! wissen Sie ihren Namen nicht?«
»Ja, man hat ihn in meiner Gegenwart genannt. Warten Sie, doch das ist sonderbar... ha, mein Gott! meine Sinne verwirren sich... ich sehe nichts mehr...«
»Seht nur, meine Freunde, seht; ihre Hände sind kalt wie Eis,« sprach d'Artagnan. »Großer Gott! sie verliert das Bewußtsein.« Während Porthos mit der ganzen Gewalt seiner Stimme um Hilfe rief, eilte Aramis zu dem Tisch, um ein Glas Wasser zu holen. Er blieb jedoch auf einmal stehen, als er die schreckliche Verstörung in Athos Gesichtszügen gewahrte, der am Tische stand, die Haare gesträubt, die Glieder starr vor Schreck, eines von den Gläsern betrachtete und von einer entsetzlichen Vermutung hingerafft schien. Dann sprach er: »O nein, das ist nicht möglich! Gott würde ein solches
Weitere Kostenlose Bücher