Die drei Musketiere
bis zum kommenden Morgen. »Jetzt eilen wir zum Gouverneur,« sprach d'Artagnan. »Aber Sie sind ja verwundet, wie mich deucht,« sagte Planchet. »Das ist nicht von Belang; befassen wir uns nur mit dem Dringenden, dann kommen wir auf meine Wunde zurück, die mir übrigens nicht gefährlich scheint.« Beide gingen raschen Schrittes nach dem Landhaus des würdigen Gouverneurs. Man meldete den Grafen von Wardes. D'Artagnan wurde eingeführt. »Sie haben einen Paß vom Kardinal unterfertigt?« fragte der Gouverneur. »Ja, mein Herr!« antwortete d'Artagnan, »hier ist er.«
»O, er ist ganz richtig und mit Empfehlungen ausgestattet,« sprach der Gouverneur. »Das ist ganz einfach,« entgegnete d'Artagnan, »da ich einer seiner getreuesten Anhänger bin.«
»Es scheint, als ob seine Eminenz jemanden verhindern wollte, nach England überzusetzen?«
»Ja, einen gewissen d'Artagnan, einen Bearner Edelmann, der mit dreien seiner Freunde von Paris in der Absicht abging, London zu erreichen.«
»Kennen Sie ihn persönlich?« fragte der Gouverneur. »Wen?«
»Diesen d'Artagnan.«
»Recht gut.«
»Geben Sie mir von ihm eine Beschreibung.«
»Das ist ganz leicht.« D'Artagnan schilderte den Grafen von Wardes Zug für Zug. »Hat er Begleitung?« fragte der Gouverneur. »Ja, einen Diener mit Namen Lubin.«
»Man wird auf sie achtgeben, und legt man Hand an sie, so kann Seine Eminenz ruhig sein, man wird sie unter guter Bedeckung nach Paris zurückbringen.«
»Wenn Sie das tun, Herr Gouverneur,« versetzte d'Artagnan, »so werden Sie sich um den Kardinal sehr verdient machen.«
»Werden Sie ihn bei Ihrer Rückkehrwiedersehen, Herr Graf?«
»Ohne allen Zweifel.«
»Ich bitte, sagen Sie ihm, daß ich ganz sein Diener bin.«
»Ich werde nicht ermangeln.« Der Gouverneur war über diese Zusicherung erfreut, visierte den Paß und reichte ihn d'Artagnan. D'Artagnan verlor seine Zeit nicht mit unnützen Komplimenten, verneigte sich, dankte dem Gouverneur und ging fort. Als er im Freien war, setzte er sich mit Planchet in Lauf, nahm einen Umweg, jenes Gehölz vermeidend, und kehrte durch ein anderes Tor in die Stadt zurück. Das Fahrzeug war stets zur Abfahrt bereit; der Schiffsherr wartete am Hafen. »Nun, wie ist's?« fragte er, als er d'Artagnan kommen sah. »Hier ist mein visierter Paß,« sprach dieser. »Und jener andere Edelmann?«
»Er wird heute nicht abreisen,« versetzte d'Artagnan, »doch seid unbesorgt, ich will für beide das Fahrgeld bezahlen.«
»Wenn das ist, so fahren wir,« sagte der Schiffspatron. »Also vorwärts!« rief d'Artagnan. Er sprang mit Planchet in das Boot; fünf Minuten darauf waren sie an Bord. Es war die höchste Zeit, denn sie waren noch kaum eine halbe Meile vom Ufer entfernt, als d'Artagnan einen Funken sprühen sah und einen Knall vernahm. Es war ein Kanonenschuß, der das Schließen des Hafens bedeutete.
Jetzt war es an der Zeit, sich mit d'Artagnans Wunde zu beschäftigen. Sie war zum Glück nicht gefährlich, wie er es selbst gedacht hatte. Die Degenspitze traf eine Rippe und glitt von dem Bein ab, außerdem klebte sich das Hemd fest an die Wunde, und so flossen nur wenige Blutstropfen daraus hervor. D'Artagnan fühlte sich infolge der Anstrengungen ganz erschöpft. Man breitete ihm auf dem Verdeck eine Matratze aus, er streckte sich darauf nieder und entschlief. Mit Anbruch des folgenden Tages war er nur noch drei bis vier Meilen von Englands Küste entfernt; der Wind wehte die ganze Nacht schwach, und so kam man nur langsam weiter. Um zwei Uhr warf das Schiff im Hafen von Dover Anker aus. Um halb drei Uhr setzte d'Artagnan seinen Fuß auf Englands Boden und rief aus: »Endlich bin ich da!« Damit war es aber noch nicht abgetan; man mußte London erreichen. Die Post war in England damals schon ganz gut bestellt. D'Artagnan und Planchet nahmen jeder ein Pferd. Ein Postillon ritt ihnen voraus; in vier Stunden erreichten sie die Tore der Hauptstadt. D'Artagnan kannte London nicht; er verstand nicht englisch; aber er schrieb den Namen Buckingham auf ein Papier, und jedermann wies ihm das Hotel des Herzogs.
Der Herzog war mit dem König in Windsor auf der Jagd. D'Artagnan erkundigte sich nach dem vertrauten Kammerdiener des Herzogs, der ihn auf all seinen Reisen begleitet hatte und recht gut französisch verstand. Er sagte diesem, daß er von Paris in einer Angelegenheit käme, bei der es sich um Leben und Tod handle, wonacher auf der Stelle mit seinem Gebieter sprechen müsse. Die
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