Die Drei !!! Skandal auf der Rennbahn
erinnerte an einen riesigen Luxusdampfer. Wäre das frisch gemähte Gras blau gewesen, hätte sie denken können, sie befände sich am Hafen irgendeiner Metropole. Der Führring, in dem die Pferde vor dem Lauf zur Begutachtung dem Publikum präsentiert wurden, glich der Miniaturausgabe eines Fußballstadions und war so gut in Schuss, dass Franzi sich nicht vorstellen konnte, dass erst gestern die fünf wichtigsten Rennen des Jahres hier stattgefunden hatten. Die Rennen, die sogar die Königin vor Ort mit Spannung verfolgte – das traditionsreiche Royal-Ascot-Rennen, das seit 1711 unter der Schirmherrschaft des englischen Königshauses jährlich hier ausgetragen wurde.
Wie gerne wäre Franzi gestern hier gewesen, und sei es nur, um die Kutsche der Königin vorfahren gesehen zu haben. Nicht, dass sie sich viel aus dem englischen Königshaus machte, aber spannend wäre es bestimmt gewesen. Aber bei Eintrittspreisen von mehreren hundert Pfund brauchte sie gar nicht ausrechnen, wie lange sie darauf hätte sparen müssen. Außerdem waren die Tickets nur schwer zu bekommen und schon über Monate im Voraus ausverkauft. Oder waren die 300.000 Besucher des wichtigsten Rennens der Saison wirklich alles geladene Gäste? Irgendwo hatte Franzi das mal gelesen, konnte sich aber nicht vorstellen, dass jemand tatsächlich 300.000 Einladungskarten verschickte. Womöglich noch per Hand unterschrieben – was für ein Aufwand!
Ebenso wie auf der Rennbahn war im Führring das Gras frisch und ebenmäßig. Haben die Pferde keine Spuren hinterlassen oder wurde das ganze Gras über Nacht ausgetauscht, fragte sich Franzi. Auch die Besucherwege, die zu Restaurants, Bars, Bistros und Cafes führten, waren so sauber, dass von den tausenden Besuchern, die sich gestern hier vergnügt hatten, nicht die leiseste Spur geblieben war. Nichts trug der leichte Sommerwind vor sich her. Keine Papierserviette, kein Rosenblatt, ja noch nicht mal einen Strohhalm. Die ganze Anlage wirkte, als wäre sie unter einem Vakuum in tiefen Schlaf versetzt worden. Nur der Lärm der Teenager, die zum heutigen Trainingstag auf das Gelände gelassen wurden, belebte die Rennbahn. Aber wo waren die Pferde? Warum hörte Franzi kein Hufgeklapper? Warum stiefelten keine Jockeys nervös auf und ab?
»Nachdem ihr jetzt alle die Rennbahn aus der Ferne gesehen habt, möchte ich euch herumführen«, begann der Reiseleiter den Rundgang über das Gelände. »Ihr werdet Einblicke bekommen, die selbst die teuer bezahlenden Besucher niemals bekommen würden. Ihr dürft einen Blick in die Jockeystube werfen, und auch das königliche Areal wird für euch geöffnet sein. Hier haben sonst nur Mitglieder der königlichen Familie Zutritt. Oder eben gut betuchte Engländer, die sich seit kurzem mit einer prall gefüllten Geldbörse einen der streng bewachten Plätze in der Nähe der Königin erkaufen können. Der Champagner perlt, Austern werden geschlürft und unzählige Hummer werden hier stilvoll an den Scheren gepackt, während die Damen ihre ausgefallenen Hüte zur Schau stellen und die Herren Geschäftsbeziehungen vertiefen. Allerdings gehen die Gespräche selten über Small Talk hinaus. Naja, die feine Gesellschaft feiert hauptsächlich sich selbst – die Pferde sind dabei ebenso schmückendes Beiwerk wie die Blumengestecke auf den Tischen. Schade für die Jockeys, denn für sie hat das Rennen eine weitaus wichtigere Funktion – hier werden Karrieren gemacht und ebenso zerstört. Sei es drum. So viel für den Moment zu den Gepflogenheiten in Ascot.«
Franzi hatte dem Reiseleiter aufmerksam zugehört. Trotzdem war sie abgelenkt, als sie zu der Jockeystube gingen. Hatte sie da nicht eben Tony vorbeigehen sehen? Sie drehte sich um. Tatsächlich. Sie erkannte ihn an dem blauen T-Shirt, das er schon bei ihrem ersten Aufeinandertreffen trug. Der Schriftzug, der auf Tonys Rücken prangte, hatte sie schon damals verwundert. Steamer Trading Cook Shop, las sie erneut und fragte sich, wieso er für das Eastbourner Haushaltswarengeschäft Werbung lief. Sollte das ein Witz sein? Der englische Humor ist ja nicht immer leicht zu durchschauen. Egal. Sie winkte ihm zu, aber Tony reagierte nicht. Er war mit dem kleinen Mann an seiner Seite so ins Gespräch vertieft, dass er Franzi nicht bemerkte. Sie überlegte kurz. Dann entfernte sie sich von der Gruppe, ließ die Jockeystube hinter sich und eilte in die Richtung, in die sie Tony hatte gehen sehen. Der Mann an seiner Seite sah aus wie ein Jockey,
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