Die drei Stigmata des Palmer Eldritch
fortpflanzt, und das alles nur wegen dieses verfluchten systemexternen Flechtenderivats, diesem gräßlichen, schauderhaften Chew-Z.
Er griff ein drittes Mal zum Videofon und wählte die Nummer von Allen Faines Satellit. Kurz darauf erschien das Gesicht seines wichtigsten Discjockeys – undeutlich, aber durchaus zu erkennen – auf dem Bildschirm. »Ja, Mr. Bulero?«
»Sind Sie sicher, daß Mayerson keinen Kontakt mit Ihnen aufgenommen hat? Das Signalbuch hat er doch bekommen, oder?«
»Ja, das Signalbuch hat er, aber wir haben noch nichts von ihm gehört, obwohl wir den gesamten Funkverkehr der Chicken Pox Prospects überwachen. Vor ein paar Stunden konnten wir beobachten, wie Eldritchs Schiff in der Nähe der Grube landete. Eldritch stieg aus und ging auf die Bewohner zu. Leider haben unsere Kameras das nicht aufgenommen, aber wir gehen davon aus, daß das Geschäft in diesem Augenblick getätigt wurde.« Faine setzte hinzu: »Und einer der Grubenbewohner, mit denen Eldritch an der Oberfläche zusammentraf, war Barney Mayerson.«
»Ich glaube, ich weiß, was passiert ist«, sagte Leo. »In Ordnung. Danke, Al.« Er legte auf. Barney hat das Chew-Z mit nach unten genommen, dachte er. Und sie haben es sofort gekaut; das war der Anfang vom Ende, genau wie damals auf Luna. Damit alles nach Plan lief, mußte Barney kauen, überlegte Leo, und so haben wir Palmer unwillkürlich in die dreckigen, halbmechanischen Hände gearbeitet; in dem Moment, als Barney das Zeug genommen hat, waren wir geliefert. Denn irgendwie gelingt es Eldritch, alle durch die Droge induzierten halluzinatorischen Welten zu kontrollieren; ich weiß – ich weiß! –, daß dieses Stinktier jede einzelne von ihnen überwacht.
Die durch Chew-Z induzierte Fantasiewelt, dachte Leo, befindet sich in Palmer Eldritchs Kopf. Wie ich am eigenen Leib erfahren habe.
Das Dumme ist nur, überlegte er, daß man sie nicht ohne weiteres wieder verlassen kann, wenn man sie erst einmal betreten hat; sie läßt einen nicht mehr los, auch wenn man sich einbildet, frei zu sein. Es ist eine Einbahnstraße; wer weiß, womöglich befinde auch ich mich immer noch in einer Halluzination?
Doch das konnte er sich eigentlich nicht vorstellen. Trotzdem, der Gedanke beweist, wie tief die Angst mir in den Knochen sitzt – Roni Fugate hat ganz recht. Tief genug, um Barney ebenso im Stich zu lassen, wie er mich im Stich gelassen hat. Und Barney hatte Präkog-Fähigkeiten, er konnte in die Zukunft sehen. Er hat von vornherein geahnt, was mir erst jetzt, im nachhinein, klar wird. Er wußte, was ich durch Erfahrung lernen mußte. Kein Wunder, daß er gekniffen hat.
Wer muß dran glauben? überlegte Leo. Ich, Barney oder Felix Blau – wer von uns wird durch den Wolf gedreht, damit Palmer ihn fressen kann? Denn im Grunde sind wir für ihn nichts weiter als – Futter. Das Ding aus dem Prox-System, das die Erde heimgesucht hat, ist ein Moloch, ein monströser Schlund, der uns verschlingen will.
Aber Palmer ist kein Kannibale. Weil er nicht menschlich ist, soviel ist sicher; es steckt kein Mensch in Palmer Eldritchs Haut.
Doch worum es sich bei Palmer wirklich handelte, wußte er auch nicht. In den endlosen Weiten zwischen Sol und Proxima konnte alles passieren. Vielleicht, dachte er, ist es geschehen, während Palmer fort war; vielleicht hat er in diesen zehn Jahren die Proxer aufgefressen, und als es dort nichts mehr zu holen gab, ist er zu uns zurückgekehrt. Ekelhaft. Ihn schauderte.
Tja, überlegte er, dann bleiben mir noch zwei Stunden selbstbestimmten Lebens, plus der Flugzeit zum Mars. Insgesamt etwa zehn Stunden innerer Freiheit, und dann – verschluckt. Währenddessen findet diese heimtückische Droge auf dem ganzen Mars Verbreitung; ich darf gar nicht daran denken, wie viele Ahnungslose sich in Palmers illusorischen Welten verirren werden, wie viele Netze er auswirft. Wie nennen die Buddhisten der UN wie Hepburn-Gilbert das noch gleich? Maja. Der Schleier der Illusion. Scheibenkleister, dachte er niedergeschlagen, streckte die Hand aus und schaltete die Gegensprechanlage ein, um ein schnelles Schiff für den Marsflug anzufordern. Ich brauche einen guten Piloten, dachte er; in letzter Zeit sind zu viele autonome Landungen gescheitert: Und ich habe keine Lust, in Fetzen gerissen und über den halben Planeten verstreut zu werden – schon gar nicht über diesen Planeten.
»Wer ist unser bester Interplan-Pilot?« erkundigte er sich bei Miss Gleason.
»Don Davis«,
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