Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)
können.«
Der Seneschall küßte ihr die Hand und überhäufte sie mit tausend Zärtlichkeiten nach seiner Art.
»Wenn du wüßtest, Blancheflor, mein Herzlieb, wie ich mich so oft in Leidenschaft verzehrte, während du ruhig an meiner Seite schlummertest ...« und dabei streichelte sie der alte Affe zärtlich mit seinen beiden Händen, die nicht anders waren als die des Knochenmanns.
»Aber«, sagte er immer wieder, »ich wagte nicht, mein weißes Kätzchen zu wecken, ich hätte mich geschämt; denn nur mein Herz war stark von der Liebe.«
»Oh«, sagte sie, »Ihr dürft mich lieben nach Eurer Art, auch wenn ich die Augen offen habe, das macht mir nichts.«
Bei diesen Worten ergriff der arme Seneschall einen kleinen Dolch, der auf dem Tischchen neben dem Bett lag, und drückte ihn seiner Frau in die Hand.
»Mein Herzlieb«, rief er, »töte mich oder laß mich glauben, daß du mich ein klein, klein wenig liebst.«
»Gewiß«, antwortete sie, »und ich will trachten, Euch recht sehr zu lieben.«
Auf diese Weise geschah es, daß so ein unwissendes Ding von Jungfernschaft sich diesen Greis zum Sklaven machte und daß die gute Blancheflor mit der allen Frauen natürlichen Grausamkeit den alten Bruyn kommen und gehen hieß wie einen Mühlesel, alles im Namen jenes geheimen Gärtleins, das so elend brachlag bei ihr: ›Mein guter Bruyn, ich möchte das! Bruyn, hör doch, ich möchte dies! Bruyn, hörst du! Bruyn!‹ Und immer wieder: ›Bruyn!‹
Also, daß Bruyn mehr litt unter der Liebenswürdigkeit seiner Frau, als er von ihrer Bosheit gelitten hätte. Sie verdrehte ihm den Kopf ganz und gar, derart, daß er bei ihrem geringsten Augenzwinkern nicht wußte, wo aus und ein. Wenn sie aber traurig war, war es vollends um ihn geschehen. Was man ihm dann vor seinem Richterstuhl auch vortrug, er hatte zu allem nur die Antwort: »Hängt ihn!«
Ein andrer wäre taumelig geworden wie eine Fliege im Dezember in dieser verrückten Jungfernschaftshetze. Aber Bruyn war von einer eisernen Natur und nicht so leicht umzubringen. Eines Abends, als Blancheflor das ganze Haus zuoberst, zuunterst gekehrt hatte, Menschen und Tiere, und mit ihren unglaublichen Launen sogar den lieben Gott in Harnisch gebracht haben würde, der doch wahrlich, wie könnte er uns sonst ertragen, einen unerschöpflichen Vorrat an Geduld hat:
»Mein guter Bruyn«, sagte sie beim Zubettgehen, »ich leide unter Vorstellungen, die mich verfolgen wie Furien, die mir Herz und Hirn erfüllen, wo sie Böses ausbrüten; und des Nachts im Schlaf, da träume ich von dem Mönch von Carneaux.«
»Mein Herzlieb«, antwortete der Seneschall, »das sind teuflische Versuchungen, deren sich auch die Nonnen in den Klöstern zu erwehren haben. Darum, wenn Euch Euer Seelenheil lieb ist, geht noch morgen in die Beichte zu dem Abt von Marmoustiers, unserm Nachbarn; er wird Euch gut beraten und Euch den rechten Weg weisen.«
»Ich werde gehen«, antwortete sie.
Sie verlor keine Zeit, und der heraufsteigende Tag sah sie bereits auf dem Wege nach dem Kloster der guten Mönche, die ganz in Ekstase gerieten beim Anblick der entzückenden Frau, also daß sie am Abend manche Sünde ihretwegen begingen. Für jetzt aber führten sie die hohe Besucherin mit großer Zuvorkommenheit vor ihren ehrwürdigen Abt.
Blancheflor fand den guten Greis in einem abgesonderten Garten, nahe bei den Felsen, im Schatten des Kreuzgangs. Die Haltung des heiligen Mannes flößte ihr Ehrfurcht ein, obwohl sie wahrlich nicht gewohnt war, sich aus weißen Haaren viel zu machen.
»Gott grüß Euch, verehrte Frau«, sagte er. »Was führt Euch, jung wie Ihr seid, in die Nachbarschaft des Todes?«
»Eure unschätzbare Weisheit«, antwortete sie, indem sie ihn grüßte mit einem tiefen Knicks. »Und wenn Ihr geruhen wollt, ein verirrtes Schaf auf den rechten Weg zu weisen und mein Beichtvater zu sein, würdet Ihr mich über alles glücklich machen.«
Hier ist zu sagen, daß der alte Bruyn sich bereits mit dem Mönch verständigt und die heuchlerische Rolle, die er spielen sollte, mit ihm verabredet hatte.
»Meine Tochter«, antwortete der Abt, »wenn ich nicht die Kälte von hundert Wintern auf diesem kahlen Schädel aufgehäuft hätte, dürfte ich Eure Sünden nicht anhören; so aber mögt Ihr sagen, was Euch bedrückt, ohne Gefahr für mich und noch weniger für Euch.« Da fing die Seneschallin an, all den kleinen Krimskrams ihres Sündenvorrats vor dem Abt auszupacken, die Hauptsache
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