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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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schleichenden Tritts, und dergestalt mit ihr tat, daß sie ein Kind bekam, ohne eine Ahnung davon zu haben, und wie ihre Entbindung nahte, fest glaubte, ihre Schwangerschaft sei eine unheimliche böse Krankheit, und danach Buße tat, weswegen ihr Beichtvater ihren Fall für eine läßliche Sünde erklärte, da die Sache für sie ohne Wollust war und der Bösewicht auf dem Schafott, wo er hingerichtet wurde, eingestanden hat, daß sich die Heilige nicht gerührt und geregt habe.«
    »Oh, mein Vater«, sagte die Seneschallin, »ich würde mich so wenig wie sie rühren und regen.«

     
    Und gestärkt in ihrem Mut, leise in sich hineinlächelnd, kehrte sie auf das Schloß zurück, in Gedanken einzig damit beschäftigt, wie ihr auch eine solche läßliche Sünde gelingen möchte. Im Schloßhof sah sie den kleinen René, der, drall in den Schenkeln, unter der Aufsicht des alten Stallmeisters ein Pferd zuritt, mit Sprüngen, Wendungen und Kapriolen, sich allen seinen Launen anschmiegend, mit unglaublicher Gewandtheit im Lauf absitzend und wieder aufspringend, mit Volten und Überschlagungen, daß man es gar nicht sagen kann, kurz, sich so keck und tadellos produzierend, daß er sogar die berühmte Königin Lukretia lüstern gemacht hätte, die sich getötet hat, weil sie wider Willen einem Manne unterlegen war.

     
    ›Oh‹, sagte Blancheflor bei sich, ›wäre doch der Page bald fünfzehn, wie gern wollte ich einschlafen, wo er mich sehen sollte.‹
    Seine große Jugend hinderte sie indessen nicht, bei allen Mahlzeiten unaufhörlich nach ihm hinzuschielen, sich an der Schwärze seiner Locken und der Weiße seiner zarten Haut die Augen aus dem Kopf zu schauen und an seinen feuchten Blicken sich zu berauschen, die sprühten von einer Überfülle von Jugendkraft und Leben.
    Nach der Vesper fand der Seneschall sie nachdenklich in ihrem Sessel am Herdfeuer sitzen, und zärtlich besorgt fragte er sie von neuem, was sie für einen Kummer habe.
    »Ich habe gerade gedacht«, sagte sie, »Ihr müßtet auf dem Schlachtfelde der Liebe gewiß sehr frühzeitig Lanzen gebrochen haben, daß Ihr nun so ganz und gar kampfunfähig seid.«
    Wie alle Greise, die man auf die Erinnerung ihrer Liebestaten bringt, schmunzelte der Seneschall.
    »Mit dreizehn Jahren«, sagte er, »habe ich der Kammerzofe meiner Mutter schon ein Kind aufgebunden.«
    Und Blancheflor lächelte zufrieden, denn sie dachte an René, der schon bald vierzehn war. Sie wurde darüber ganz heiter und aufgeräumt, sagte dem Alten allerlei ausgelassene Neckereien und ließ sich wohlig von ihrem geheimen Wunsch durchwärmen wie eine Katze von der Frühlingssonne.

Welchergestalt und von wem die läßliche Sünde begangen wurde

     
    Die Seneschallin brauchte nicht allzulang darüber nachzusinnen, wie sie es anfangen wolle, den kleinen René mit Sicherheit für sich zu angeln; sie verfügte über einen Köder, daß einer kein Gimpel zu sein brauchte, um anzubeißen.
    Folgendes war der Hergang.
    In den heißen Stunden des Tages pflegte der alte Bruyn nach Art der Sarazenen Siesta zu halten, nämlich ein Schläfchen zu tun, wie er es sich im Heidenlande angewöhnt hatte. Während dieser Zeit blieb Blancheflor allein. Sie erging sich entweder auf der Wiese oder beschäftigte sich spielend mit kleinen Arbeiten, mit Weben oder Sticken, wie Frauen zu tun pflegen, oder sie sah in der Halle oder in der Wäschekammer nach dem Rechten, kurz, schlenderte herum, wie es ihr beliebte. Diese Zeit gedachte sie in Zukunft ausschließlich der Erziehung des Pagen zu widmen, und sie begann damit, daß er ihr aus Büchern vorlesen und die üblichen Gebete hersagen mußte.

     
    Am andern Tag nun, als auf Schlag Mittag der Seneschall sich seinem süßen Schlaf überließ – denn es war heiß, und die Felsen von Roche-Corbon wurden wie glühend von den Strahlen der Sonne, also daß der Mensch nicht leicht dem Schlummer widerstand, es sei denn, daß die diabolischen Irritationen und Tribulationen einer aufgepeitschten Jungfernschaft ihn daran hinderten –, da rekelte die Seneschallin sich in dem herrschaftlichen Lehnstuhl ihres Gemahls so lange zurecht, bis sie die anmutigste Lage herausgefunden hatte; und wenn der Stuhl auch etwas unbequem hoch war, sie bedauerte es nicht, weil dadurch glückliche perspektivische Zufälligkeiten nur begünstigt werden konnten. Zierlich wie eine Schwalbe in ihrem Nest, machte sie es sich so mollig wie möglich und lächelte listig, indem sie wie ein schlafendes Kind

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