Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)
ihr Köpflein über die Lehne hängenließ und genäschig sich einen Vorgeschmack gab von den zu erwartenden Leckerheiten, den verstohlenen Keckheiten und Frechheiten des kleinen Pagen, der zu ihren Füßen liegen werde, kaum um einen Flohsprung von ihr entfernt. Immer näher rückte sie mit ihrer Fußspitze das samtne Kissen. Darauf sollte René niederknien, das arme Kind, das ihr wie die Maus der Katze zum Spielball dienen mußte mit Leib und Seele. So nah rückte sie das Kissen, daß er wohl gezwungen war, und wenn er auch ein steinerner Heiliger gewesen wäre, mit seinen Blicken den Falten ihres Kleides nachzugehen und die Linien zu verfolgen, mit denen der Stoff ihr feines Bein modellierte. Nein, es war nicht zu verwundern, daß ein armer kleiner Page sich in einer Falle fing, wo es der stärkste Ritter nicht als Schande erachtet haben würde, als Gefangener zu zappeln. Nachdem sie so alles aufs verfänglichste gedeichselt und ihren Körper so lange zurechtgedrückt und -gerückt hatte, bis sie die Haltung gefunden, die am sichersten dem Knaben gefährlich werden mußte, rief sie mit sanfter Stimme den Pagen, und René, von dem sie wußte, daß er sich nebenan in der Halle aufhielt, streckte auch schon seinen schwarzen Lockenkopf durch den Vorhang der Tür.
»Was befiehlt meine Herrin?« fragte er. Er hielt in großer Ehrfurcht sein rotes Samtkäppchen in der Hand; aber röter als das Käppchen waren in diesem Augenblick seine frischen, allerliebsten Grübchenwangen.
»Komm näher«, antwortete sie, die Worte nur so hauchend. Denn sie zitterte innerlich beim Anblick des Kindes.
Es war aber auch kein Edelstein so funkelnd und blitzend wie die Augen des Kleinen, kein Seidentaffet weißer und weicher als seine Haut, kein Mädchen graziler an Formen wie er. Und sie, in gesteigerter Begierde, fand ihn leckerer als je; und ihr könnt euch denken, wie soviel Jugend, warme Sonne, Heimlichkeit der Stunde und alles zusammen das holde Spiel der Liebe begünstigen mußte.
»Lies mir die Litanei der Heiligen Jungfrau«, sagte sie zu ihm und wies auf ein offenes Buch auf ihrem Gebetpult, »ich möchte wissen, ob du auch was lernst bei deinen Lehrern ... Sag, findest du die Heilige Jungfrau schön?« fragte sie lächelnd, als er nun das Stundenbuch in der Hand hielt, worin viel heilige Figuren abgemalt und mit Gold und Blau illuminiert waren.
»Das ist nur gemalt«, antwortete er schüchtern, indem sein Blick die schönheitsvolle Herrin streifte.
»Lies, lies.«
Und René begann sie zu rezitieren, die Litanei voll süßer Mystik; und ihr werdet gern glauben, daß die Ora pro nobis der Seneschallin immer schwächer klangen wie der Klang des Horns in der weiten Landschaft. »Du geheimnisvolle Rose«, rezitierte der Page voll Inbrunst. Und die Schloßherrin, die wohl gehört hatte, antwortete nur mit einem leisen Seufzer. Da konnte René nicht mehr zweifeln, daß die Seneschallin eingeschlafen war. Er gab also seinen erstaunten Blicken freien Lauf und dachte an keine andre Litanei mehr als die der Liebe; dem Armen drohte das Herz stillzustehen vor heißem Glück; und wer es gesehen hätte, wie hier zwei Jungfernschaften aneinander und füreinander entbrannten, würde sich wohl hüten, je so was zusammenzubringen.
Die Augen des glücklichen René lustwandelten sozusagen im Garten des Paradieses, er sah über sich die verbotene Frucht, das Wasser lief ihm im Mund zusammen. So sehr geriet er in Verzückung, daß das Stundenbuch seiner Hand entfiel, worüber er verlegen wurde wie eine Nonne, die in ihrem Schoß plötzlich sich etwas regen fühlt. Er gewann aber daraus die Gewißheit, daß Blancheflor fest und sicher schlief; sie rührte sich nicht. Die listige Evastochter hätte auch bei einem ernsteren Fall oder Unfall die Augen nicht geöffnet, sie rechnete darauf, daß noch andres fallen werde als Stundenbücher, denn heftiger als das unberechenbare und kapriziöse Verlangen einer Schwangeren ist das einer solchen, die es erst werden will. Unterdessen betrachtete der Edelknabe den Fuß seiner Dame, der in einem gar zierlichen Pantöffelchen von hellblauer Seide stak und recht auffällig auf einem Schemel ruhte, da der Sessel des Seneschalls, worin die Dame die Schlafende spielte, ungewöhnlich hoch war. Und ach, was war das für ein Fuß! Schmal war er und war reizvoll geschwungen, nicht länger als ein Hänfling, den Schwanz mit eingerechnet, kurz, ein Fuß zum Entzücken, ein jungfräulicher Fuß; er verdiente geküßt
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