Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)
könne, und er beschloß bei sich, seine Rache mit Hilfe des Erzbischofs billiger zu erlangen. Zu dem Junker von Montsoreau aber sagte er, er möchte unverzüglich losreiten und ihm einen Sack voll Schatten bringen, wozu Walter, der die Launen seines Herrn kannte, sich ohne Weigerung anschickte, noch ehe die Türme und Spitzdächer von La Roche-Corbon sichtbar wurden. Seine Stelle gab der Seneschall einem Sohne des Herrn von Jallanges, der sein Vasall war und dessen Sohn René hieß. Der Seneschall machte aus dem jungen René, der just in sein vierzehntes Jahr ging, einstweilen seinen Pagen, bis er alt genug wäre, um Stallmeister zu werden und das Kommando über das gräfliche Kriegsvolk zu übernehmen, das er vorderhand einem alten Haudegen übertrug, der in Palästina und andern Orten der Genosse seiner Heldentaten gewesen war. Auf diese Weise glaubte der gute Greis, aller Gefahr einer Behörnung vorgebeugt zu haben und die Jungfernschaft seiner Frau auch künftighin in Zucht und Zügel oder, wie man auch sagt, unter dem Daumen halten zu können. Aber das war ein Ding, das sich jetzt ganz rebellisch gebärdete und scharrte und ausschlug wie ein gefesseltes Maultier.
Welchergestalt eine Todsünde zu einer läßlichen Sünde wird
Es war am nächsten Sonntag nach der Ankunft Renés auf dem Schlosse, daß Blancheflor ohne ihren Gemahl zur Jagd auszog und in dem Wald bei Carneaux einen Mönch bemerkte, der eine junge Bauerndirne ungebührlich zu mißhandeln schien. Sie gab ihrem Zelter beide Sporen und rief ihren Leuten zu, den Mönch zu verhindern, daß er das Mädchen töte. Aber angelangt bei den beiden, riß sie plötzlich ihr Pferd herum, und der Anblick dessen, was sie bei dem genannten Mönch gesehen hatte, machte sie stumm und nachdenklich für die ganze Dauer der Jagd. Diesmal ging ihr ein helles und ganzes Licht auf und warf seinen erleuchtenden Schein auf tausend Dinge, die sie bisher nicht begriffen hatte, auf heilige und profane Bilder, Historien und Gedichte der Troubadours, das Gebaren der Vögel und andrer Tiere des Waldes. Mit einem Schlag begriff sie das Geheimnis der Liebe, das in allen Sprachen geschrieben ist, sogar in der der Karpfen. Wie wäre es auch möglich gewesen, ihr allein diese Wissenschaft auf immer zu verheimlichen!
Blancheflor ging diesen Abend früher als gewöhnlich zu Bett.
»Bruyn«, sagte sie zu dem Manne an ihrer Seite, »Ihr habt mich schnöd hintergangen. Ihr müßt Euch aber endlich bequemen, mit mir zu tun, wie der Mönch von Carneaux mit der Dirne.«
Der gute Seneschall brauchte nicht nach dem Vorgang zu fragen, er ahnte ihn und fühlte sein Unglück über sich hereinbrechen.
»Mein süßes Herz«, antwortete er sanft, indem er seiner Bettgenossin einen schmachtenden Blick zuwarf, der leider schielte, »als ich Euch zur Frau nahm, da hatte ich mehr Liebe als Kraft zur Liebe und zählte auf Euer Mitleid und Euren christlich keuschen Sinn. Das Unglück meines Lebens ist, daß ich nur noch stark bin im Herzen. Ich werde aus Kummer bald sterben, und über kurz oder lang werdet Ihr frei sein ... Seht, ich flehe Euch an, ich, Euer Herr und Meister, der Euch befehlen könnte und der nichts andres sein will als Euer ergebenster Knecht und Diener: Habt Mitleid mit meinen weißen Haaren! Häuft nicht Schande auf mein greises Haupt! Bedenkt auch ein wenig, daß schon mancher Edelmann seine Frau erwürgt hat um dieser Sache willen.«
»Ihr wollt mich töten?« rief sie.
»Nein«, antwortete der alte Mann, »ich liebe dich allzusehr, mein Herz. Siehe, du bist die Blume meines Alters, die einzige Lust meiner Seele, du bist mein vielgeliebtes Kind. Mein Auge wird hell bei deinem Anblick; von dir kann ich alles hinnehmen, selbst ein Schmerz, den du mir zufügst, macht mich glücklich. Du sollst deinen Willen haben in allem, wenn du dem alten Bruyn nicht allzusehr grollen willst dafür, daß er dich zu einer großen Dame, daß er dich reich und geehrt gemacht hat. Geh, du wirst eine hübsche Witwe sein! Ich aber werde gern sterben, denn ich werde denken, daß es dein Glück ist.«
Und er fand in seinen vertrockneten Augen eine letzte Träne, die ihm heiß über die lederfarbene Wange rann und niederfiel auf die Hand seiner Frau. Blancheflor aber fühlte sich tief erschüttert von dieser großen Liebe des alten Mannes, der in die Grube steigen wollte, um ihrem Glück nicht im Wege zu stehen.
»Na, na«, sagte sie, »weint nur nicht, ich werde schon warten
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