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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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mit dem sie zufrieden war, nahm ihr kurzerhand, was ihr so lang zur Last gewesen, und gab ihr, wonach sie so lange und so viel geseufzt. Er tat sogar etwas mehr, als zu diesem löblichen Zweck nötig gewesen wäre, also daß das übrige gut zu zwei weiteren Kindern gereicht hätte. Auch fühlte er sich plötzlich an den Haaren gepackt und eng an eine weiche Brust gedrückt.
    »Oh, Kleiner«, rief das verschmitzte Weibsen, »nun hast du mich aufgeweckt.«
    Sie hatte wahrlich so gut geschlafen, als es ihr nur möglich war, aber es gibt Dinge, die stärker sind als der stärkste Schlaf. In dieser Stunde, und es war weiter gar kein Wunder dazu nötig, geschah es, daß auf dem kahlen Schädel des guten Bruyn, ohne daß er, wie alle seinesgleichen, auch nur das geringste davon merkte, ganz sänftiglich jenes Gewächs aufsproßte, das ich euch nicht näher zu beschreiben brauche.
    Seit diesem Tag, der rot gedruckt war in ihrem Kalender, machte die Seneschallin alltäglich ihren Mittagsschlummer, wie man so sagt, auf französische Art, der Seneschall aber blieb der sarazenischen
    Mode treu. Die schöne Frau machte dabei die Erfahrung, daß nicht ganz reife Früchte einen besseren Geruch haben als überreife, an denen die Fäulnis schon ihr Werk begonnen hat; sie wickelte sich darum des Nachts fest in ihre Tücher und rückte so weit weg als möglich von ihrem Herrn Gemahl, den sie stinkend fand wie einen alten Bock.

     
    Und siehe, mit lauter Einschlafen und Aufwachen am glockenhellen Tag, mit Mittagsruhehalten und Litaneienbeten kam die Seneschallin mit Gottes Hilfe glücklich so weit, daß auch in ihr etwas wuchs und sproßte. Sie hatte sich so lange danach gesehnt, aber nun auf einmal waren ihr die Mühen der Fabrikation lieber als das Fabrikat.

     
    René, wie ihr wißt, konnte lesen, und nicht nur in Büchern, sondern auch in den Augen seiner schönen ›Dienstherrin‹, für die er durchs Feuer gegangen wäre, wenn sie es nur im leisesten gewünscht hätte. Er las aber in den gedachten Augen, während beide sich immer tiefer in die verliebte Andacht hineinbeteten und bald an die hundert Litaneien hinter sich hatten, daß immer mehr eine schwarze Sorge sich der schönen Frau bemächtigte: die Sorge um Seele und Zukunft des geliebten Pagen; und einmal, an einem regnerischen Tage, nachdem sie wieder über dem beliebten Magnetspiel sich selber vergessen hatten, wie nur zwei unschuldige Kinder sich in ihrem Spiel vergessen können, sagte Blancheflor:
    »Mein lieber René, weißt du auch, du Armer, daß du immer eine Todsünde begangen hast, wo ich, weil ich schlief, nur läßlich gesündigt habe?«
    »Aber schöne Frau«, antwortete er, »wenn das Sünde ist, wo will denn der liebe Gott hin mit all den Verdammten?«
    Blancheflor mußte lachen. Sie küßte ihn auf die Stirn.
    »Schweig, du Bösewicht, es geht um das Heil deiner Seele, und ich möchte dich doch an meiner Seite haben durch alle Ewigkeiten.«
    »Eure Liebe ist meine ewige Seligkeit.«
    »Lassen wir das«, sagte sie, »Ihr seid ein Ungläubiger, ein böser Mensch, Ihr wollt nichts hören von dem, was ich liebe. Das seid Ihr. Wisse aber, mein Schatz, daß mir ein Kind von dir im Schoße wächst, das ich über kurzem so wenig werde verbergen können wie meine Nase. Was wird der Abt von Marmoustiers dazu sagen? Und was mein Herr und Gemahl? Er wird dich vernichten in seinem Zorn. Und also ist es meine Meinung, Kleiner, daß du den Abt aufsuchst, ihm deine Sünden beichtest und seinen Rat einholst, wie du dem Zorn des Seneschallen schicklich zuvorkommen magst.«
    »Aber wird nicht der Alte«, antwortete der listige Page, »wenn ich ihm unser Glück verrate, über unsere Liebe das Interdikt verhängen?«
    »Wahrscheinlich«, sagte sie; »aber dein ewiges Seelenheil geht mir jetzt über alles.«
    »Ihr wollt es also, Geliebte?«
    »Ich will es!« antwortete sie mit schwacher Stimme.
    »So werde ich hingehen!« rief er entsagungsvoll. »Aber vorher schlaft noch einmal ein, mir schwant, daß es das letztemal ist.«
    Betete also das schöne Paar seine Abschiedslitanei, und eins wie's andre hatte das Gefühl, daß der kurze Lenz ihrer Liebe sich zum Ende neige. Am andern Tag aber machte sich René auf den Weg nach Marmoustiers, mehr um seiner Herrin Ruhe willen als zu seiner eignen Rettung, vor allem aber aus Gehorsam gegen seine Gebieterin.

Das Ende der läßlichen Sünde, wie sie gesühnt wurde und wie sie über Blancheflor Trauer und groß Herzeleid

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