Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)
Schuldgefühl gegen seinen Herrn, mit vorgebeugtem Kopf den Streich erwartend, durch den er alle Schuld seiner Geliebten für diese und die andre Welt zu bezahlen gedachte.
Aber seine frische Jugend und Schönheit und die holde Natürlichkeit seines Verbrechens fanden Gnade vor dem Herzen des alten Mannes, so streng er war; er warf seinen Harnisch weit weg nach einem Hunde, dem er drei Rippen einschlug.
»Verflucht seien deine Erzeuger, du Unglückspage!« rief er aus.
»Und tausend höllische Krallen mögen durch alle Ewigkeiten hindurch den verdammten Schoß zerfleischen, aus dem du hervorgekrochen bist zu meinem Unglück. Geh zum Teufel, von dem du kommst! Geh hinweg von mir, hinweg von diesem Schloß und von diesem Lande! Verweile dich nicht einen Hahnenschrei länger, als es nötig ist, oder ich will dich an einem langsamen Feuer braten lassen, und du sollst deine verruchte Spitzbübin zwanzigmal verfluchen in einer Stunde.«
Bei diesen Worten des Seneschalls, der in seinen Flüchen sich zu verjüngen schien, ergriff der Page, ohne ihn ausreden zu lassen, die Flucht, und wahrlich, er tat wohl daran. Von neuem kam die Wut über Bruyn, der nun hinter das Haus nach den Gärten davonraste, alles niederschlagend auf seinem Weg, fluchend wie ein Türke. Einem Knecht, der den Hunden das Futter brachte, zerbrach er die Töpfe, daß die Brühe an ihm herunterrann. Er war so von Sinnen, daß er einen Menschen erwürgt haben würde für nichts als ein krummes Wort. In diesem Zustand bemerkte er die Seneschallin, die nach dem Weg von Marmoustiers ausschaute und bei sich verzweifelte, ob sie ihren Pagen je wiedersehen werde.
»Holla, schöne Dame, bei der dreizackigen Gabel des Teufels: bin ich ein Hanswurst, bin ich ein neugeborenes Kind, um zu glauben, die Einfahrt sei bei Euch so groß und weit, daß ein Page einreiten kann, ohne Euch zu wecken? Donner noch mal, Tod und Teufel!«
»Oh«, antwortete sie, die merkte, daß der Teufel wirklich los sei, »ich habe es, zu meinem größten Vergnügen, wohl gefühlt, aber Ihr hattet mich so in Unwissenheit gelassen über die Sache, daß ich sie für einen Traum hielt.«
Bei diesen Worten schmolz der Zorn des Seneschalls wie Schnee in der Sonne. Der größte Zorn Gottes hätte einem Lächeln Blancheflors nicht standgehalten.
»So mag der Teufel den Bankert holen, ich schwöre, daß ...«
»Schwört nicht«, sagte sie; »wenn es nicht Euer Kind ist, so ist es doch das meinige, und habt Ihr mir nicht versichert, daß Ihr alles liebtet, was von mir kommt?«
Und dann begann sie mit so spitzfindigen Argumentationen, hatte so süße Blicke, so vergoldete Worte, so jammervolle, herzzerreißende Klagen, untermischt mit Tränen und Zornausbrüchen; und hatte von neuem wieder soviel Gründe und Gegengründe, die sie ihm wie das Vaterunser herunterbetete, als etwa, daß doch die Domänen nun nicht mehr an den König zurückfielen, daß das Kind ja unschuldig sei wie ein Engel im Paradies, und so und so, vom Hundertsten ins Tausendste, dergestalt, daß der gute Hahnrei sich endlich besänftigte und Blancheflor volle Zuversicht gewann, so sehr, daß sie sogar den Mut fand, nach dem Pagen zu fragen.
»Zum Teufel ist er!« antwortete der Seneschall.
»Wie!« rief sie, »Ihr habt ihn umgebracht?« Sie erblaßte, sie wankte.
Bruyn erschrak, er glaubte, sie getötet zu haben, die süße liebe Frau, das Glück seiner alten Tage, und er hätte ihr jetzt gern, um sie nur zu ermuntern, den Pagen zum Geschenk gemacht, wenn er ihn zur Hand gehabt hätte.
Er gab Befehl, daß man ihn suche. Aber René in seiner Höllenangst war schon weit fort auf dem Weg nach dem Heiligen Land, wohin sein Gelübde ihn rief. Als Blancheflor von dem Abt erfuhr, welche Buße dem Geliebten auferlegt worden, verfiel sie in eine schwarze Melancholie. »Ich werde ihn nicht mehr sehen, den Unglücklichen«, rief sie oft aus, »meine Liebe hat ihn in den Tod getrieben!«
Und immer fragte sie nach dem Pagen wie ein Kind, das seiner Mutter so lange keine Ruhe läßt, bis ihm sein Wunsch erfüllt wird. Der Seneschall sah ihren Jammer, er fühlte aufs tiefste all seine Schuld, und er tat seiner Frau alles zuliebe – eine einzige Sache ausgenommen –, um sie glücklich zu machen; aber das Zuckerwerk, an das sie der Page gewöhnt hatte, konnte er ihr nicht auftreiben. Und dann, eines Tages, bekam sie das einst so heiß ersehnte Kind. War das ein Fest für den guten Hahnrei?
Das Kind war sein
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